Milchbart (German Edition)
offen stand, und eilte Frau Becker entgegen. Die Chance, die sich ihm da bot, musste er nutzen.
Kurz bevor er sich auf gleicher Höhe mit ihr befand, wandte er sich um, als hätte ihn von dort hinten jemand gerufen. Weil dem natürlich nicht so war, schwenkte er augenblicklich wieder nach vorn und machte gleichzeitig einen großen Schritt.
Seine Rechnung ging auf. Zufrieden fühlte Sprudel die warme Flüssigkeit über seinen Bauch rinnen. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass sich ein hübscher brauner Fleck auf seinem hellen Hemd ausbreitete.
Und ja, er hatte sie richtig eingeschätzt. Frau Becker bestand darauf, ihn mit ins Haus zu nehmen, um »wenigstens das Gröbste abzuwischen«.
So kam es, dass Sprudel kurz darauf in einem Behandlungszimmer saß und von der Therapeutin mit Kleenextüchern abgetupft wurde.
Schade, dachte er, dass Fanni die Szene nicht beobachten kann. Sie würde sich amüsieren.
Als das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte, entschuldigte sich Frau Becker und nahm das Gespräch an. Sprudel scheute sich nicht, genau hinzuhören.
Drei Minuten später durfte er sich sagen, dass er am heutigen Vormittag vom Glück begünstigt war.
Mühelos hatte er Frau Beckers Antworten entnehmen können, dass ihr erster Patient des Tages in einem Stau steckte und mit einer guten Viertelstunde Verspätung rechnete.
Sprudel beschloss, keine Sekunde dieser Zeitspanne zu vertrödeln, und preschte vor. »Was es doch für Zufälle gibt. Erst gestern Abend habe ich Sie in der Parkklinik Hornschuh gesehen. Behandeln Sie dort Patienten?«
Frau Becker nickte. »Professor Hornschuh beschäftigt mehrere Therapeutinnen, die sich auf unterschiedliche Fachbereiche spezialisiert haben.«
»Ich habe auch von dem Mord gehört«, sagte Sprudel. »Was für eine Tragödie.«
Wieder nickte Frau Becker, während sie ein frisches Kleenex aus der Packung zupfte, erwiderte aber nichts.
»Kannten Sie Frau Bogner gut?«, fragte Sprudel, beeilte sich dann aber fortzufahren, um sich keine brüske Antwort einzuhandeln: »Was kann es für diese schreckliche Tat bloß für einen Grund gegeben haben? Hatte die Ermordete vielleicht mit jemandem Streit?«, fügte er an und hoffte, Frau Becker würde sich auf das Thema einlassen.
Er wurde jedoch enttäuscht.
Sie warf das benutzte Kleenex in den Papierkorb. »Besser kriege ich es nicht hin.«
»Was?«, fragte Sprudel verwirrt.
»Der Fleck ist nicht zum Verschwinden zu bringen«, erklärte sie. »Falls Sie noch einen Termin haben, sollten Sie sich lieber schnell ein neues Hemd besorgen. Die Kosten werde ich Ihnen natürlich ersetzen.«
»Keinesfalls«, wehrte Sprudel ab, während er sich erhob. »Es war ja meine Schuld. Ich knöpfe einfach meine Jacke zu, und schon ist nichts mehr zu sehen.« Er überlegte einen Moment lang, dann beschloss er, alles auf eine Karte zu setzen. »Aber über Marita Bogner würde ich mich gern noch ein wenig mit Ihnen unterhalten. Ich habe ein ganz spezielles Interesse an dem Fall.«
»Tut mir leid«, entgegnete Frau Becker fast schroff. »Ich habe jetzt gleich einen Termin. Warum reden Sie nicht mit Maritas Mann, Herrn Seibold, oder mit ihrem Sohn, Tillman, wenn Sie Ihre Anteilnahme bekunden und Näheres über die Umstände des Todes von Frau Bogner erfahren möchten?«
Missmutig verließ Sprudel das Gebäude. Da hatte er alles so schön eingefädelt und es dann doch vermasselt.
Geradezu empört stieg er in seinen Wagen, als ihm aufging, dass er sich nicht einmal mit einer schönen Tasse Milchkaffee samt Croissant im Café Krönner für den misslungenen Coup entschädigen konnte. Unwillig sah er an sich hinunter. Oder sollte er die warme Jacke im Kaffeehaus anbehalten? Oder aber sich um den Fleck nicht scheren und einfach so tun, als wäre er nicht vorhanden?
Sprudel schüttelte den Kopf. Weder das eine noch das andere schien ihm akzeptabel. Ärgerlich startete er den Wagen.
6
Als Fanni nach dem Mittagessen aus dem Speisesaal trat, hatte sie drei Entscheidungen getroffen: Erstens würde sie die Qigongstunde schwänzen, zweitens würde sie Hans Rot belügen, und drittens würde sie sich schnellstens mit Sprudel treffen.
Falls der heute Nachmittag nicht was Besseres vorhat!
Fanni ging auf ihr Zimmer, rief unverzüglich ihren Mann an und teilte ihm mit, dass die Termine für die Gesprächstherapien samt und sonders auf die Nachmittage verlegt worden seien, weil sie ja nun von Frau Bogners Kolleginnen wahrgenommen werden mussten. Das entsprach durchaus
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