Milchbart (German Edition)
wirkte dermaßen enttäuscht und gekränkt, dass sie hastig nach entschuldigenden Worten suchte. »Ich weiß, wir hatten abgemacht, uns gegenseitig zu vertrauen …« Weiter kam sie nicht.
»Hallo. Dürfen wir uns dazusetzen?«
Fanni wandte sich um.
Waschzwang und Kleptomanski!
Alexander hatte sich gentlemanlike erhoben und deutete eine kleine Verbeugung an. Kein Hauch von dem Wort »angrapschen« kam über seine Lippen.
Dafür sind die Mädels zu jung!
Irma Braun und Michaela Kofler nahmen Platz. Michaela zwinkerte Alexander verschwörerisch zu.
Sollte diesem Zwinkern eine Bedeutung beizumessen sein?
»Der Kripozwerg hatte mich gerade in der Mangel«, sagte sie belustigt. »Was der gute Junge nicht alles von mir wissen wollte.«
Weshalb nennt sie ihn Zwerg?, fragte sich Fanni verwundert.
Erst als sie sich ins Gedächtnis rief, wie ihr der Beamte nach dem Besuch ihrer Nachbarinnen im Foyer gegenübergetreten war, wurde ihr bewusst, dass sie beinahe auf Augenhöhe mit ihm gewesen war.
Kommt normalerweise nur bei Zehnjährigen vor!
»Man ist offenbar noch immer eifrig dabei, Alibis zu überprüfen beziehungsweise die entsprechenden Aussagen miteinander zu vergleichen«, sagte Alexander.
Michaela machte eine abfällige Geste. »Ich habe schon mal keines zu bieten. Du doch auch nicht, Irmi, oder?«
»Ich bin zur fraglichen Zeit im Zeichensaal gewesen«, erwiderte Irma Braun, »und habe da mein Bild fertig gemalt.«
»Was allerdings niemand bezeugen kann«, verkündete Michaela. »Genauso wie niemand bezeugen wird, dass ich im Fitnessraum gewesen bin und dort meine Bauchmuskeln trainiert habe.« Sie klopfte leicht auf ihre schlanke Taille.
Alexander lächelte sie schelmisch an. »Sollten wir künftig nicht lieber gemeinsam trainieren? Dann können wir uns gegenseitig bezeugen, wo wir uns betätigt haben: Laufband, Sidestepper, Hantelbank, Crosstrainer …«
Daraufhin entspann sich zwischen Alexander und den beiden Frauen eine Diskussion über die Qualität der Sportgeräte im Fitnessraum.
Fannis Gedanken drifteten ab. Sie fragte sich, ob Sprudel inzwischen bei einer Kollegin von Frau Bogner um einen Gesprächstermin angefragt hatte.
Selbst wenn! Dauert es nicht manchmal Wochen, bis man so einen Termin bekommt?
Fanni konnte das nicht abstreiten. Bedrückt löffelte sie ihre Suppe und hätte gern ein magisches Fernrohr gehabt, das ihr zeigte, was Sprudel gerade machte.
Sprudel hatte bereits am frühen Morgen mit seinen Recherchen begonnen und via Internet herausgefunden, dass Frau Becker sich auf Kunsttherapie spezialisiert hatte und vormittags in der psychotherapeutischen Praxis Klüngel und Huber in Straubing beschäftigt war; Frau Aicha arbeitete vormittags bei Dr. Böhm in Bogen.
Nachdem er sich die beiden Adressen aufgeschrieben hatte, fuhr Sprudel nach Straubing, parkte vor der Praxis Klüngel & Huber, blieb im Wagen sitzen und behielt die Eingangstür im Auge. Die stand nicht einen Augenblick lang still, woraus er schloss, dass es sich um eine große Praxis handelte mit vielen Therapeuten und noch viel mehr Patienten.
Sieht nicht gut aus, dachte er. Die Termine werden womöglich auf Wochen hinaus vergeben sein, und wenn dann auch noch einer daherkommt, der nach einer bestimmten Therapeutin verlangt, wird man ihn aufs nächste Schaltjahr vertrösten.
Sprudel überlegte gerade, ob es überhaupt der Mühe wert war, vorstellig zu werden, als er sie sah.
Frau Becker kam aus der anderen Ecke des Parkplatzes auf seinen Wagen zu, an dessen Frontseite sie vorbeigehen musste, um zur Eingangstür zu gelangen. Sprudel erkannte sie sofort. Er hatte die beiden Therapeutinnen tags zuvor im Foyer der Parkklinik ausgiebig beobachten können, während sie auf Professor Hornschuh warteten, und hatte sich an sie erinnert, als er sie auf der Internetseite der Klinik abgebildet sah.
Frau Becker trug eine dicke Aktenmappe unter dem rechten Arm, in der linken Hand hielt sie einen Pappbecher mit dem Logo eines bekannten Kaffeerösters.
Coffee to go, dachte Sprudel, so nennt sich das heutzutage, wenn man seinen Kaffee zwischen Tür und Angel trinkt.
Für ihn selbst war so etwas undenkbar, denn er liebte es, seinen Kaffee ausgiebig zu genießen. Und am meisten genoss er ihn, wenn er dabei in einem gemütlichen Kaffeehaus sitzen konnte, wo es eine reiche Auswahl an Kuchen und Torten gab.
Jetzt aber kam ihm der schnelle Kaffee sehr gelegen. Sprudel sprang aus seinem Wagen, überzeugte sich davon, dass seine Jacke
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