Milchbart (German Edition)
welche Fortschritte wir inzwischen gemacht haben.«
Michaela pflichtete ihr bei. Offenbar ging sie ganz automatisch davon aus, mit von der Partie zu sein.
»Du willst doch nicht kneifen, Alexander«, stichelte Irma.
Fanni warf ihm einen prüfenden Blick zu und erkannte, dass er nach Ausflüchten suchte.
Dieser Milchbart hält sich auffällig bedeckt! Sollte man nicht meinen, ein Kerl müsse vor lauter Begeisterung ausflippen, wenn ihn zwei hübsche Mädels anbaggern?
Während Irma vom Deggendorfer Lichtspielhaus schwärmte, »schickes Kino – versprochen«, wurde der Nachtisch aufgetragen. Es gab Obstsalat, den Fanni und Sprudel unkultiviert schnell vertilgten. Kaum waren ihre Schälchen leer, entschuldigten sie sich und standen auf.
Fanni wurde den Eindruck nicht los, dass es ihnen Alexander am liebsten gleichgetan hätte.
Sie eilten ins Foyer, das sich erwartungsgemäß als leer erwies, und hielten zielstrebig auf die Treppe zu, die ins Untergeschoss führte, wo die Patienten nichts zu suchen hatten. Unbehelligt stiegen sie hinunter und erreichten einen schmalen Flur, von dem links und rechts Türen abzweigten.
Es bedurfte keiner Worte.
Fanni wandte sich der einen Seite des Ganges zu, Sprudel der anderen. Resolut begannen sie, die Türen der Reihe nach zu öffnen.
Fanni hatte bereits einen Blick in den Raum mit den Heizkesseln geworfen, hatte hinter der nächsten Tür Regale mit Werkzeugen stehen sehen und hinter der übernächsten Schneeschaufeln, Besen und einen Dampfdruckreiniger, als sie Sprudel leise rufen hörte. Rasch lief sie zu einer offen stehenden Tür auf der gegenüberliegenden Seite.
Was für einen Unterschied es doch macht, aus welcher Perspektive man etwas betrachtet!
Vom gebräuchlichen Eingang aus gesehen, wirkte der Kellerraum ganz anders als aus dem Blickwinkel, den Fanni tags zuvor gehabt hatte. Dennoch gab es keinen Zweifel. Sie befanden sich in jenem Raum, den Fanni vor Augen gehabt hatte, als sie in dem Schacht steckte, der aus Frau Bogners Zimmer führte. Wie gestern lagen mehrere Wäschehaufen auf dem Boden.
Während Sprudel sich noch suchend umschaute, ging Fanni bereits auf eine Nische zu, die durch einen kleinen Mauervorsprung gebildet wurde. Dort hob sie den Blick, der geradewegs in eine Öffnung in der Wand fiel.
Das muss die Richtige sein, und direkt darunter muss das Knäuel liegen!
Fanni bückte sich, um es aufzuheben. Doch ihre Hand, bereit, zuzugreifen, stockte auf halbem Weg. Das Nest aus Staubflusen, in dem die mutmaßliche Tatwaffe gestern früh gelegen hatte, war leer.
»Der Mörder scheint uns zuvorgekommen zu sein«, sagte Sprudel mit deprimierter Stimme. Er war neben Fanni getreten und hatte offenbar erraten, weshalb sie mitten in der Bewegung innegehalten hatte.
Fanni starrte die Staubflusen an, als könnte sie sie dazu zwingen, die vermutliche Tatwaffe wieder erscheinen zu lassen. Sprudel nahm sie bei der Hand.
»Es lässt sich nichts daran ändern, das Ding ist weg.«
Bekümmert stiegen Fanni und Sprudel die Treppe wieder hinauf, ließen sich im Foyer auf ein Sofa fallen und wussten nicht weiter.
Fannis Blick irrte über die Stilmöbel, die Dekoration, die Personen, die an ihr vorübergingen.
Das Foyer füllte sich allmählich. Besucher kamen von draußen herein, begrüßten diejenigen, denen ihr Besuch galt, belegten dort und da eine der Sitzgruppen.
»Fanni?«
Sie schreckte hoch.
Vor ihr stand Hans Rot und schaute sichtlich konsterniert auf sie hinunter.
Fanni hatte ihn komplett vergessen, hatte einfach nicht daran gedacht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Deshalb war er jetzt hergekommen.
Typisch für ihn, dachte Fanni. Er setzt seine Nachmittagsbesuche bei mir nahtlos fort, als wäre kein Mord geschehen; kein Verdacht auf mich gefallen, der mich zum Handeln zwingt; kein einziger Termin verlegt worden.
Vielleicht solltest du die Herren miteinander bekannt machen!
Fanni unterdrückte einen Seufzer. Dann stellte sie Sprudel und Hans, die sich nie persönlich kennengelernt hatten, einander vor.
Sprudel hatte sich erhoben, um Fannis Ehemann die Hand zu schütteln. Anschließend bot er ihm zuvorkommend seinen Platz neben Fanni auf dem Sofa an und rückte für sich selbst einen Stuhl an den Designer-Glastisch, der davorstand.
Als sich die beiden setzten, hatte Fanni wieder freie Sicht und konnte beobachten, wie Alexander, Michaela und Irma am Eingang miteinander diskutierten. Dann sah sie Michaela mit den Schultern zucken und gemeinsam mit Irma
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