Milchbart (German Edition)
die Klinik verlassen. Alexander winkte ihnen nach.
Er hat sich tatsächlich abgeseilt!
Was er vermutlich gleich bereuen wird, dachte Fanni, denn die Gesellschaft junger Damen wäre unserer sicherlich vorzuziehen. Und die Fragen, die ich ihm zu stellen habe, werden ihm vielleicht auch nicht gefallen. Aber die Sache mit dem Talisman bedarf der Klärung. Es muss doch eine Bedeutung haben, dass er sich auf Hornschuhs Schwelle fand. Sie erhob sich und schnitt Alexander den Weg zur Treppe ab.
»Gestern habe ich schon versucht, dich abzufangen.«
Alexander grinste. »Gar nicht so einfach, wie?«
Fanni führte ihn zu ihrem Tisch.
Aber da sitzt doch auch Hans Rot!
Umso besser, dachte Fanni. Dann erfährt er gleich, was alles gespielt wird.
Sie stellte Alexander vor.
Der streckte Hans Rot die Hand hin. »Alexander Pauß. Ihre Frau und ich sind die Hauptverdächtigen im Mordfall Bogner.«
Hans warf Fanni einen unwilligen Blick zu und stand auf, um Alexander zu begrüßen.
Sprudel hatte sich ebenfalls wieder erhoben, hatte einen weiter entfernt stehenden Stuhl herangezogen und ihn an die Schmalseite des Tisches gestellt.
Alexander bedankte sich höflich, bevor er sich darauf niederließ.
Fanni hatte sich wieder neben Hans aufs Sofa gesetzt. Nun schaute sie hilfesuchend zu Sprudel. Als sie Ermutigung und Einverständnis in seinem Blick las, begann sie zu sprechen. »Dein Talisman hat sich gefunden, Alexander.«
»Ich weiß«, antwortete er. »Michaela hat ihn mir bereits zurückgegeben. Tut mir leid, dass Sie Ihre Ohrringe dafür eingebüßt haben, Frau Rot.«
Fanni sah ihn scharf an. »Er war aber nicht in Frau Bogners Behandlungsraum.«
»Auch das weiß ich inzwischen. Offensichtlich habe ich ihn woanders verloren.«
»Am Eingang zu Hornschuhs Büro«, sagte Fanni, und es klang wie ein Vorwurf.
Alexander zog eine Augenbraue hoch. »Ich habe mich halt geirrt.«
Daraufhin wusste Fanni nicht recht weiter, doch Sprudel sprang ein. »Aber warum haben Sie den Talisman nicht viel früher vermisst, wenn er schon lange weg war?«
Alexander wirkte verwirrt. »Lange? Ich bin doch von Seibolds Büro direkt zu Frau Bogner gegangen.«
Fanni brauchte eine Weile, bis ihr klar wurde, was er eben gesagt hatte. »Du warst vor deiner Therapiesitzung in Seibolds Büro?«
»Von acht Uhr vierzig bis acht Uhr fünfundfünfzig, um genau zu sein«, antwortete Alexander. »Ich habe ihn sprechen wollen, aber er war nicht an seinem Schreibtisch. Seine Aktenmappe lag auf der Ablage, und seine Jacke hing über der Stuhllehne. Deswegen habe ich angenommen, dass er nur kurz aus dem Zimmer gegangen ist, und habe gewartet. Als er kurz vor neun noch nicht zurück war, habe ich es aufgegeben.«
»Was wolltest du denn von Seibold?«, fragte Fanni.
Alexander sah sie mit einer Spur Belustigung in den Augen an. »Ihn um Hilfe bitten.« Das Erstaunen, das ihm entgegenschlug, schien ihn zu amüsieren. Er genoss es einige Augenblicke lang, dann sagte er: »Also schön, legen wir die Karten auf den Tisch. Die Sache ist ja so gut wie erledigt.« Er machte eine kleine Verbeugung in Fannis Richtung. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen dieses Theater vorgespielt habe. Aber es war nötig, um Hornschuh auf die Schliche zu kommen.«
Theater? Schliche?
»Du leidest gar nicht an einer Zwangsneurose«, japste Fanni.
Alexander schmunzelte. »Ein bisschen leidet wohl jeder an so etwas. Aber stimmt, ich muss niemanden angrapschen.« Er angelte eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und legte sie auf den Tisch.
Fanni griff danach und betrachtete sie. »Privatdetektei Pauß« stand auf dem Kärtchen. »24 Stunden erreichbar, stets einsatzbereit, rechtssichere Beweisführung«. Sie gab das Kärtchen an Hans weiter.
»Um es kurz zu machen«, sagte Alexander, »die Ehefrau eines sehr angesehenen, sehr wohlhabenden Mannes hält sich in regelmäßigen Abständen hier in der Klinik auf, um ihre Sexsucht therapieren zu lassen. Allerdings …«
Von Hans Rot kam ein Lacher.
Alexander unterbrach den angefangenen Satz und erklärte: »Hypersexualität gilt als eigenständiges Krankheitsbild, sobald alle Anzeichen von Sucht festzustellen sind: Besessenheit, Machtlosigkeit und die Benutzung von Sex als Schmerzmittel.« Er vergewisserte sich, dass rundum verständnisinnig genickt wurde, ehe er zum Angelpunkt seines Berichts zurückkehrte: »Die Dame gilt als geheilt, kommt aber wie gesagt turnusmäßig in die Parkklinik, um nicht rückfällig zu werden. Dabei ist sie
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