Milchblume
meinem Wissen was anzufangen.
Die ganze Nacht über bin ich wach gelegen. Und von Stunde zu Stunde wütender auf mich geworden. Ich habe überlegt, mich am nächsten Morgen ganz einfach auf den Dorfplatz zu stellen und lauthals die Wahrheit herauszuplärren, bis sich jemand ihrer annimmt. »Mein Vater, der Seifritz-Bauer, ist der Kuhschänder!«, hätte ich schreien müssen. Als ich es in Gedanken ein paarmal wiederholt habe, und im Geist die Reaktionen der Umstehenden mit ansehen habe müssen, habe ich gewusst, dass es keine gute Idee ist.
Im Morgengrauen habe ich schließlich einen Entschluss gefasst. Ich habe entschieden, wem ich mein Wissen anvertraue. Ich habe mich dazu entschlossen, die Tat meines Vaters seinem Vater zu sagen, die Tat des Seifritz-Bauern dem Seifritz-Großvater. Bei mir war es schließlich auch immer so. Wenn ich irgendwo etwas angestellt habe, haben es immer alle meinem Vater, dem Seifritz-Bauern, erzählt. Also wollte ich es jetzt genauso halten, und seine Tat seinem Vater erzählen.
So bin ich also zum Großvater gegangen und habe es ihm gesagt. Und weil die Großmutter den Großvater in dieser Zeit überhaupt nicht mehr aus den Augen gelassen hat, weil sie sich immer mehr Sorgen um ihn gemacht hat, war auch sie dabei, als ich es erzählt habe. Ich habe gewartet, bis sie allein waren und die anderen draußen auf dem Feld. Habe mich vom Huber-Hof davongestohlen und bin zu ihnen in die Stube. Und dort habe ich es ihnen dann gesagt, habe nicht lange herumgedrückt, sondern bin rein und habe es ihnen auf den Kopf zu gesagt. »Ich weiß, dass euer Sohn, der Seifritz-Bauer, der Kuhschänder ist.« Das habe ich gesagt. Mit hochrotem Kopf und mit zitternden Knien, aber ich habe es gesagt, ich habe es getan. Weißt du, wie sie reagiert haben? Erst haben sie gar nichts gesagt, dann haben sie sich kurz angesehen und gleich darauf dreingeschaut, als würden sie nachdenken. Du kannst dir vorstellen, ich war gespannt, wie sie reagieren, was sie tun würden. Ob sie mich beschimpfen, weil ich so unvorstellbaren Blödsinn rede oder ob sie wütend werden, oder ob sie ihren Sohn zur Rede stellen, oder was auch immer. Weißt du was: Es ist ganz und gar anders gekommen, als ich es mir ausgemalt habe. Weißt du, was sie gesagt haben? Die Großmutter hat als Erste den Mund aufgemacht. Sie hat angefangen. Sie hat gesagt: »Geht die Sonne feurig auf, folgen Wind und Regen drauf.« Darauf hat der Großvater gemurmelt: »Morgenrot, schlechtes Wetter droht.« Und so haben sie sich abgewechselt. Es war wie in einem Albtraum. »Springen Frosch und Fische, kommt Gewitterfrische.« – »Reißt die Spinne ihr Netz entzwei, kommt Regen herbei.« – »Geht der Fisch nicht an die Angel, ist’s an Regen bald kein Mangel.«
Ich bin mit offenem Mund danebengesessen und habe nicht gewusst, wie mir geschieht. Unter mir hat der Boden geschwankt und die Wände und die Zimmerdecke haben sich in Wellen gelegt. Aber es war noch nicht vorbei. »Kriecht die Spinne vom Netz zum Loch, gibt’s Gewitter noch«, hat die Großmutter gegreint. »Beißen Mücken dich und Flöhe, kommt nichts Gutes aus der Höhe«, hat der Großvater gejammert. »Wenn die Schwalben niedrig fliegen, werden wir bald Regen kriegen«, hat die Großmutter gesagt, wie von plötzlicher Trauer befallen.
Ich glaube, du hast recht: Das war ihre Art, mit der Situation fertig zu werden. Das habe ich mir nach dem ersten Schreck auch gedacht. Heute ist mir klar, dass die beiden längst gewusst haben, dass ihr Sohn der Kuhschänder war. Als ich mit dampfend heißem Kopf und schweißnass bis ins Kreuz aufstehen wollte, um mich davonzumachen, hat mich der Großvater mit seinen knorrigen Fingern am Ärmel festgehalten, mich ernst angeschaut und dann den folgenden Satz in einem Ton gesagt, als würde er mir ein Rätsel aufgeben: »Stechen böse, böse Fliegen, werden wir noch furchtbare Gewitter kriegen.« Und auch die Großmutter hat mich so drängend angeschaut, dass ich ihren Blick auf meinem Körper gespürt hab. Dann hat sie einen Satz Wort für Wort aus ihrem dünnlippigen, vertrockneten Mund fallen lassen: »Kriechen Würmer auf den Wegen, kommt’s zu schrecklichem Regen.«
13.
A m Siebenschläfertag hatte es nicht geregnet und so herrschte ein großes Aufatmen in Legg. Stand doch nun nicht mehr zu fürchten, dass der Sommer verregnet sein würde, sieben Wochen lang. Aber knapp war es doch hergegangen: Mit schweren, dunklen Wolken beladen, war die Himmelsdecke
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