Milchfieber
Streifenbeamten. „Wer ist „der“?“
„Mein Schwager“, entgegnete Lissy.
Sie erzählte atemlos, dass sie gegen neun Uhr von einem Bekannten nach Hause gebracht worden sei. Sie hätte ihre Wallfahrt abbrechen müssen, Klausi, also ihr Schwager, hätte sie auf dem Handy ganz aufgeregt angerufen, Horst, das sei ihr Mann, sei verhaftet worden, was sie sich überhaupt nicht erklären könne. Sie habe einen Bekannten gebeten, sie schnell nach Hause zu bringen und der Mann habe sich freundlicherweise dazu bereit erklärt.
„Wo ist der Mann denn jetzt?“, fragte ein Polizist.
„Er hat sich in einem Zimmer eingeschlossen, weil er Angst hat“, sagte Lissy. „Vor Klaus.“
„Ihrem Schwager?“
„Ja“, nickte sie. „Kaum hat er meine Koffer in das Haus getragen, als er, also Klaus, herangestürmt kam und uns wüst beschimpft hat.“ Sie begann zu weinen. „Er hat Norbert, also den Bekannten, angeschrieen, was ihm einfiele, hierher zu kommen, er solle die Finger von mir lassen, wenn er mir auch nur einen Schritt zu nahe kommen würde, würde etwas passieren, an das er sich sein Leben lang erinnern würde.“
„Hat er nur gedroht“, fragte der andere Polizist, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte, „oder ist er handgreiflich geworden?“
„Mein Freund, also mein Bekannter hat sich das nicht gefallen lassen“, erklärte sie, „damit wir uns nicht falsch verstehen: das ist nur ein guter Bekannter, nichts weiter.“
„Verstehe“, sagte der Polizist und musterte Lissy.
„Dann ist Klausi auf ihn los und ich habe versucht, ihn zurückzuhalten“, wieder begann sie zu weinen. „Da ist er auch auf mich losgegangen. Ich sei eine Hure und nichts wert.“ Sie schluchzte. „Das hat er wirklich gesagt!“
„Wo ist der besagte Klaus jetzt?“
„Er im Kühlhaus eingesperrt.“
„Im Kühlhaus?“
Lissy nickte. „Die Tür wir von außen verrammelt.“
„Herr Winkler?“, rief der Polizist, als er vor dem Kühlhaus stand, „hören Sie mich?“
Klaus gab keine Antwort.
„Wir öffnen jetzt die Tür!“
Klaus Winkler kauerte in einer Ecke des kleinen Raumes und hatte die Knie an seinen Körper angezogen. Er sah mit aufgerissenen Augen die beiden Beamten an und als sie ihn freundlich aufforderten aufzustehen, rührte er sich nicht.
Sie griffen ihm unter die Achseln und versuchten ihn auf die Beine zu stellen. Klaus regte sich nicht, ließ sich ohne Widerstand aus dem Kühlhaus tragen und als die Beamten ihn auf seine Beine stellen wollten, sackte er zusammen.
Die Beamten alarmierten den Notarzt.
Klaus Winkler verbrachte die Nacht im Krankenhaus. Er entschloss sich erst am nächsten Morgen zu reden, aber keiner wollte ihm zuhören. Er hätte den Ärzten gerne seine Version erzählt. Dass er keineswegs irgendjemanden angegriffen habe und er sich überhaupt nicht habe erklären können, weshalb Lissy und ihr neuer Bekannter ihn plötzlich im Kühlhaus eingesperrt hätten. Er wurde zur Beobachtung in die psychiatrische Abteilung überwiesen.
Lissy war alleine auf dem Hof. Sie fürchte sich so, meinte sie zu Norbert, ob er nicht die eine Nacht im Haus bleiben könne. Um sie zu beschützen. Norbert war einverstanden.
Kapitel 34
Ninas Lieblingserzählung aus dem Buch, das sie Allmers geschenkt hatte, hatte auch ihm sehr gut gefallen. Er nahm die „Kubanischen Kriminalgeschichten“ ein paar Tage später wieder zur Hand, blätterte darin und versuchte sich zu entscheiden, welche er als nächstes lesen sollte, als das Telefon klingelte.
„Hier ist Wiebke“, sagte sie mit verlegener Stimme.
„Hallo“, erwiderte er überrascht, „schön, dass du anrufst“
„Wie geht es dir?“
Allmers sah sie vor sich. Am Ton ihrer Stimme erkannte er, dass sie nicht angerufen hatte, um Small-Talk mit ihm zu machen.
„Na ja“, erwiderte er, „es ist viel passiert.“
„Kann ich vorbeikommen?“
„Jetzt?“, fragte er verblüfft.
„Ich bin in zehn Minuten da“, sagte sie und legte auf.
Endlich, dachte er. Endlich kommt sie.
Er sprang auf, rannte in das Badezimmer, riss sich die Kleider vom Leib und stellte sich unter die Dusche. Dass sie angerufen hatte, um mit ihm die Nacht zu verbringen, war ihm sofort klar gewesen. In den letzten Wochen war er oft zu faul gewesen, abends noch zu duschen, er fand, es lohne sich kaum, wenn er am Morgen danach wieder in einem verdreckten Stall stehen würde. Manchmal stellte er erschrocken fest, dass er schleichend begann, sich zu vernachlässigen.
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