Milchgeld: Kluftingers erster Fall
schaltete den Fernseher wieder an.
Er wusste nicht mehr, wann er vor dem Fernseher eingeschlafen war, wusste aber sofort, dass er das Sexmagazin, das gerade auf dem Privatsender lief, nicht willentlich eingeschaltet hatte.
Er griff zur Fernbedienung und »zappte«, wie sein Sohn es nannte. Programm zwanzig, der amerikanische Sportkanal brachte Baseball. So ein Schmarr’n dachte er bei sich, das Spiel kapiert doch wirklich keiner, die stehen ja nur rum. Er blickte auf die Wanduhr: Es war kurz vor zwölf. Wenn seine Frau schon zurückgekommen war, hatte er sie nicht gehört. Ausgerechnet zu Annegret musste sie gehen. Das tat sie doch nur, um ihn zu bestrafen. Annegret war die Frau von Dr. Langhammer und auch, wenn er keinen Grund hatte, sie nicht zu mögen, fiel doch immer noch genug Antipathie, die er für ihren Gatten empfand, für sie ab. Schon die Tatsache, dass sie immer so betont elegant gekleidet war und sich anscheinend regelrecht in Parfüm badete, bot ihm Angriffsfläche für seine Kritik. Und wie alt sie war, wusste auch niemand so genau. Womöglich schnippelte der Doktor in seiner Freizeit noch ein bisschen an ihr herum. Kluftinger ärgerte sich: über seine Frau, darüber, dass er hier zur Untätigkeit verurteilt war und dass nichts Gescheites im Fernsehen lief. Am liebsten wäre er jetzt gleich noch einmal zum Tatort gefahren. Es gab genügend Punkte, die er genauer untersuchen wollte. Etwa den Umstand, dass Wachters Leiche offenbar eine Prellung am Kopf aufwies, die auf einen Schlag hindeutete. Wegen der Müdigkeit, die schnell wieder die Übermacht über den kriminalistischen Verstand gewann, beließ er es aber bei seinem ursprünglichen Vorhaben, am folgenden Tag den Tatort aufzusuchen. Er schaltete den Fernseher aus und ging ins Bad.
***
Es klopfte an Kluftingers Bürotür.
»Herein« sagte er und sah sich mit einem äußerst aufgebrachten Kollegen der Verkehrspolizei konfrontiert.
»Findest Du das witzig, ja? Meinst Du, das ist irgendwie komisch? Seltsame Art von Humor ist das, Kluftinger. Nicht genug, dass Ihr unsere Autos nehmt, Ihr meint auch noch, Ihr könnt Euch einen Spaß erlauben und einen stinkenden Käse dahin legen, wo wir den ganzen Tag sitzen und die Geschwindigkeit messen? Ich habe gute Lust und melde diesen bescheuerten Lausbubenstreich beim Chef. Sind wir eigentlich in der Schule hier? Eine Frechheit, echt, also da hat der Spaß ein Loch, wir sind fertig miteinander.«
Die Tür knallte ins Schloss, ohne dass Kluftinger ein Wort hätte sagen können. Was wollte der? Plötzlich fiel ihm das Stück Weißlacker von gestern ein. Es musste unter den Sitz gerutscht sein, er hatte es beim Aussteigen auch nicht mehr gesehen, sonst hätte er ja daran gedacht und es mitgenommen. Nun war der Kombi den ganzen letzten Nachmittag in der prallen Sonne gestanden …
Ein kurzes Grinsen huschte über Kluftingers Gesicht, bevor er eilfertig beschloss, am Abend oder am nächsten Tag dieses pikante Missverständnis aufzuklären und sich mit einer Flasche Wein bei den betroffenen Kollegen zu entschuldigen.
Der kleine Zusammenstoß mit seinem Kollegen sollte der einzige Höhepunkt an Kluftingers Vormittag bleiben. Auch wenn er relativ früh ins Büro gefahren war, um seiner Frau aus dem Weg zu gehen, die durch das Mitbringen einer eigenen Decke ins eheliche Schlafzimmer gestern Nacht deutlich signalisiert hatte, dass sie nun einen handfesten Streit hatten, wusste er eigentlich nicht so recht, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. Eine kurze Lagebesprechung mit Maier, Hefele und Strobl brachte auch keine wesentlich neuen Erkenntnisse.
Die drei sollten sich nun erst einmal bei den Nachbarn umhören, vielleicht würde sie das ja weiter bringen. Auch die Finanzen des Mordopfers sollten geprüft werden. Schließlich wollte sich noch ein Kollege aus einer anderen Abteilung um den Computer des Toten kümmern; in Kluftingers Team kannte sich keiner so richtig gut mit diesen Dingern aus.
Jetzt saß der Kommissar an seinem Schreibtisch und wippte unruhig auf seinem Stuhl. Was sollte er tun? Ihm fiel die jüngere Tochter ein. Er hatte ja beim Telefongespräch von Wachters Ältester mitbekommen, dass sie noch heute Abend im Allgäu eintreffen wollte. Er hatte sich von Julia Wagner auch ihre Handynummer geben lassen. Kluftinger wählte ihre Nummer, ohne eigentlich richtig zu wissen, was er sie fragen wollte, was nicht bis heute Abend hätte warten können.
»Pronto?«, hörte er am anderen Ende.
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