Milchgeld: Kluftingers erster Fall
nicht?«, fragte sie.
»Was soll nicht stimmen?«, brummte er, nahm einen Schluck und musterte sie über den Rand des Krugs hinweg. Sie blieb stehen und beobachtete ihn. Jetzt musste er es ihr sagen, sie würde sich nicht abwimmeln lassen.
»Naja, der Anruf gestern Abend. Und heut’ bist du auch ohne einen Ton verschwunden.«
Psychologisch vorgehen, befahl er sich selbst.
»Ich muss was mit dir besprechen«, sagte er und merkte an ihrem erschreckten Blick, dass, von allen Sätzen, die ihm die deutsche Sprache zur Verfügung stellte, um das ungeliebte Gespräch zu beginnen, dies genau der falsche war. Jedenfalls, wenn es seine Absicht gewesen war, möglichst harmlos zu klingen.
»Ist was passiert?«, flüsterte sie erschrocken, während sie sich hinsetzte.
Sie fragte immer, ob was passiert sei und setzte dabei diesen Blick auf, als sei jemand umgebracht worden. Dabei war noch nie etwas passiert. Jedenfalls nicht ihm oder ihrem Sohn oder sonstwem aus der Verwandtschaft.
»Du immer mit deinem ›passiert‹«, kritisierte er.
Sie ging gar nicht darauf ein, sondern wartete auf seine Erklärung. »Also, Schatz«, begann er und überlegte im gleichen Augenblick, wann er sie das letzte Mal so genannt hatte, »das mit dem Urlaub, also, darüber sollten wir noch mal sprechen, da könnt’s sein, dass das nicht so geht wie geplant.« Kluftinger fand sein eigenes Herumgestopsel fürchterlich. Hätte er sich selbst bei einem Verhör vor sich gehabt, er hätte geglaubt, er wäre schuldig.
Sie ging wie auf Stichwort hoch: »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Das glaub ich nicht, also …« Kluftinger zog den Kopf zwischen die Schultern. Au weh, dachte er, da hab ich sauber daneben gelangt.
»Wir hatten das fest ausgemacht!«, schloss seine Frau mit erhobenem Zeigefinger. Und das klang nicht, als ob sie bereit wäre, diese Sache erneut zu verhandeln.
Dabei hatte sie natürlich völlig Recht. Urlaub war bei ihnen immer schon ein Reizthema gewesen. Eigentlich hatten sie sich, bis auf ihre Hochzeitsreise, nie so richtig auf ein Ziel einigen können. Und damals waren sie auch nur an die Ostsee gefahren, weil eine Arbeitskollegin von ihr dort Verwandte mit einer kleinen Pension hatten, in der sie kostenlos wohnen konnten. Geld hatten sie damals keines.
Das war inzwischen nicht mehr das Problem. Sie hatten nur einfach unterschiedliche Vorstellungen vom Urlaubsziel. Kluftinger fuhr am liebsten nach Südtirol, Österreich oder dergleichen, um zu wandern. Da kannst du gleich daheim im Allgäu bleiben, pflegte seine Frau dann zu sagen. Wie Recht sie damit hatte, hatte er ihr immer tunlichst verschwiegen. Denn wenn es nach ihm ginge, würden sie wirklich zu Hause Urlaub machen. Ihm verhagelte es die Urlaubsstimmung regelmäßig schon bei den Reisevorbereitungen: Prospekte wälzen, auf die Frage »Ist das nicht schön?« ein aufmerksames »Oh ja, sehr« antworten, um nicht ein »Du interessierst dich ja gar nicht dafür« zu ernten. Sich im Reisebüro von irgendwelchen braungebrannten Ex-Animateuren sagen lassen, »dass es diese Saison sehr in ist, sich beim Wellness-Package auf der Teneriffa-Finca seelisch zu erneuern«. Ja vielen Dank. Wellness, schon das Wort trieb ihm die nicht vorhandene Urlaubsstimmung aus allen Poren wie das Heilfasten die Körperschlacke. Übrigens auch sehr »angesagt«, wie er lernen musste.
Hatte man sich dann endlich entschlossen, galt es, sich die Kleidung für drei Wochen im Voraus zu überlegen und am Urlaubsort auf ein Klo zu gehen, dass schon mindestens 200 Menschen vor einem benutzt hatten. Und gesellig sollte er dann immer sein, denn seine Frau maß den Wert des Urlaubs auch immer daran, wie viele Adressen sie am Ende mit den neuen Bekanntschaften getauscht hatte. Ja, er wäre wirklich am liebsten daheim geblieben.
Am Schlimmsten aber war die Tatsache, dass sie immer irgendwohin wollte, wo es heiß war, wo man beim Weg vom Swimmingpool zum Liegestuhl schon wieder ins Schwitzen kam, wo sie Bier mit Bananengeschmack servierten und wo man sich abends schick machte, um irgendeine Promenade abzulaufen.
Deswegen war ein kleiner Teil von ihm sogar ganz froh, dass sie durch den aktuellen Fall die Reise würden verschieben müssen. Denn diesmal hatte sie sich durchgesetzt. Nach Mallorca sollte es gehen. Oder »Auf Malle«, wie der Depp vom Reisebüro gesagt hatte. Mit dem Flugzeug! Wenn er Wasser sehen wollte, fuhr er an den Vilsalpsee und sie wollte nun gleich auf eine Insel.
Aber Gnade ihm Gott,
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