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Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Titel: Milchgeld: Kluftingers erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr , Volker Klüpfel
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funktionieren würde.
    Als er die Tür zum Wohnzimmer öffnete, zögerte er ein wenig, bevor er eintrat. Er sah auf den leeren Fleck, wo vor zwei Tagen noch die Leiche gelegen hatte. Eine Gänsehaut huschte über seinen Arm, obwohl es ein recht warmer Sommertag war. Gerade durch ihre Abwesenheit schien die Leiche besonders präsent zu sein. Kluftinger ging zum Sofa, zögerte kurz und setzte sich dann in einen Sessel gegenüber der Couch. Er blickte sich um. Was war passiert, fragte er sich immer wieder. Er versuchte, aufgrund der spärlichen Fakten, die sie bereits hatten, einen Tathergang zu konstruieren. Er blickte zum Esstisch. Vor seinem geistigen Auge erschien Wachter, wie er am Tisch sitzt, einen Kaffee vor sich, und in sein Hörnchen beißt. Die Allgäuer Zeitung liegt vor ihm auf der Tischplatte. Er fragte sich, was wohl das Letzte war, das er in seinem Leben gelesen hatte. Der Wetterbericht? Die Börsenkurse? Oder gar die Todesanzeigen? Er versuchte sich vorzustellen, was er gerne als letzte Information aufnehmen würde, wenn er wüsste, dass es mit ihm zu Ende geht. Aber Wachter wusste es nicht.
    Es klingelt. Kluftinger stellte sich einen melodiösen, mehrstimmigen Klingelton vor. Er nahm sich vor, nachher noch auszuprobieren, ob er damit Recht hatte. Wachter geht zur Tür und öffnet. Wer steht draußen? Ein Bekannter? Ein Freund? Jedenfalls lässt Wachter ihn rein.
    Es muss ein Mann gewesen sein, dachte sich Kluftinger. Alles andere würde ihn sehr überraschen. Und das nicht nur, weil laut Statistik die meisten Gewaltverbrecher Männer sind. Wachter war nicht gerade schmächtig; es bedurfte schon einer gehörigen Portion Kraft, ihn mit der Vorhangschnur zu erledigen. Aber vielleicht konnte sich der Kommissar einfach nur nicht vorstellen, dass eine Frau zu einer solchen Tat fähig gewesen wäre.
    Sie gehen zusammen ins Wohnzimmer. Setzen sich vielleicht auf die Couch. Kluftinger blickte auf die Sitzecke gegenüber. Wachter und der Mann ohne Gesicht unterhalten sich. Es kommt zum Streit, die beiden stehen auf, gestikulieren wild.
    »Du hattest nicht vor, ihn umzubringen«, sagte Kluftinger laut und nickte dabei. »Du hattest keine Waffe dabei.« Vielleicht wollte der Gesichtslose über etwas Bestimmtes reden, Wachter zu etwas bewegen. Aber offenbar hatte er keinen Erfolg.
    Es folgt ein Handgemenge, ein Schlag mit einem Gegenstand oder ein harter Aufprall auf der Erde, Wachter geht zu Boden. Was jetzt passiert, macht aus dem Besucher einen kaltblütigen Mörder, auch wenn er das ein paar Sekunden vorher noch nicht vorhatte. Er sieht sich um, greift sich die Schnur, die auf dem Wohnzimmertisch neben den Vorhängen liegt, schlingt sie mehrmals um Wachters Hals und zieht zu. Wachter bäumt sich auf, taumelt, reißt Bücher aus dem Schrank, fegt Zeitschriften vom Tisch, aber er hat keine Chance.
    Kluftinger schauderte bei der Vorstellung. Irgendetwas zwischen den beiden Menschen hatte den einen an diesem Vormittag zu einem Mörder und den anderen zu seinem Opfer gemacht. Aber was? Er hatte keine Antwort darauf. Dennoch hatte er das Gefühl, klarer zu sehen. Die Tatsache, dass der Mörder die Vorhangschnur benutzt hatte, schien ihm auf einmal gar nicht mehr so abstrus und abwegig, wie noch vor zwei Tagen. Sie lag eben griffbereit. Und Wachter war bereits angeschlagen.
    Aber was geschah nach dem Mord? In der Wohnung fehlte nichts. »Du bist weggerannt«, sagte er wieder laut. Natürlich, das passte zusammen. Die Tür stand offen als er kam, hatte Bartsch gesagt. Vermutlich war der Mörder verstört, wollte weg.
    Kluftinger sah zum Tisch mit den Vorhängen hinüber. Irgendetwas irritierte ihn. Plötzlich schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, zückte sein Handy und wählte die Nummer des Präsidiums. Sandy meldete sich. »Der Maier oder der Strobl sollen unbedingt sofort in Erfahrung bringen, ob der Wachter eine Haushälterin oder Putzfrau hatte.« Als er seinen Befehlston bemerkte, schob er noch ein »Bitte, Frau Henske, wären Sie so nett, das den beiden schleunigst auszurichten?« nach.
    Dass ihm das nicht gleich aufgefallen war! Nach allem, was er über den Toten wusste, hätte es ihn schwer gewundert, wenn er seine Vorhänge selbst aufgehängt hätte. Und auch die Wohnung sah so sauber aus, dass er sich kaum vorstellen konnte, dass Wachter, bei dem Geld, das er offenbar hatte, selbst zum Spültuch griff. Da er auch keine Frau mehr hatte, jedenfalls nie lange, wie ihm alle, mit denen er sprach,

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