Milchgeld: Kluftingers erster Fall
versicherten, lag dieser Schluss nahe. Sollte es eine Putzfrau geben, könnte die vielleicht wichtige Hinweise geben. Vielleicht fehlte ja doch etwas in der Wohnung.
Der Kommissar stand auf und ging rasch zur Tür. Als er schon fast auf der Straße angelangt war, machte er noch einmal kehrt. Er stellte sich ganz nah an die Haustür und drückte den Klingelknopf. Drinnen ertönte ein sonorer, mehrstimmiger Dreiklang.
Mit einem Lächeln ging Kluftinger zu seinem Wagen.
***
Es war Nachmittag geworden, ohne dass Kluftinger dies richtig gemerkt hatte. Offenbar hatte er sehr viel Zeit in der Wohnung von Wachter verbracht. Als er im Auto saß, beschlich ihn ein leises Hungergefühl, das sich auf dem Weg nach Kempten zu einem ordinären Kohldampf ausgeweitet hatte. Wie ferngesteuert bog Kluftinger am Eisstadion ab und hielt vor einem Imbisswagen. Er hatte nicht darauf geachtet, was es für ein Wagen war, für ihn zählte jetzt nur die schnelle Nahrungsaufnahme.
Doch als er vor dem kleinen, dunkelhaarigen Mann mit der weißen Schürze stand, der ihn erwartungsfroh anlächelte, zuckte er zusammen. Ausgerechnet ein Dönerstand. Priml, dachte er. Ein riesiger Fleischberg drehte sich in der hinteren Ecke des Wagens, in der Auslage glänzten Artischocken und Tomaten, Schafskäse und Peperoni. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Nicht nur, dass der immer noch freundlich lächelnde Mann es sicher als eine grobe Unhöflichkeit empfunden hätte, wenn er einfach auf dem Absatz kehrt gemacht hätte. Es wäre ihm selbst auch furchtbar peinlich gewesen.
Also sagte er, als hätte er sich den ganzen Tag schon darauf gefreut: »Einen Kebab bitte.«
Die Frage »Mit allem?« erwischte ihn noch einmal kalt. Überrumpelt sagte er »Ja, bitte« und sah dann apathisch dem Mann im Wagen zu, wie er aus einem großen blauen Plastiksack ein Viertel eines Fladenbrotes zog, es in eine Mikrowelle steckte und dann mit einem großen elektrischen Rasierapparat vom Fleischspieß dünne Locken abschnitt. Es war einer dieser Pressfleisch-Spieße, darüber hatte Kluftinger einmal gelesen. Kein sorgfältig aufgefädeltes, geschnittenes Fleisch mit Tomate und Zwiebel obenauf, sondern ein unförmiger Kloß aus einer Masse, die ihn an Leberkäse erinnerte. Leberkäse! Was würde er jetzt für eine Leberkäs-Semmel geben.
Stattdessen wurde das Brot, das der Mann inzwischen mit dem Fleisch gestopft hatte und in das er nun unaufhörlich allerlei Gemüse schaufelte, immer größer. Kluftinger hatte schon Döner gegessen, so war es nicht. Eine Zeitlang gab es zu Hause welchen, als sein Sohn, Freund internationaler Snacks, noch bei ihnen wohnte. Wenn Frau Kluftinger in der Stadt war und sich in der Zeit verschätzt hatte, brachte sie schon mal drei Döner mit, zur Freude ihres Sohnes und zum Missfallen ihres Gatten. Der zerlegte ihn dann stets auf dem Teller und aß ihn in seinen Einzelteilen, das Brot extra dazu. Doch dieser Döner kam am Stück. Der Mann hatte ihn noch mit einer roten Würzmischung versehen und mit den Worten »Scharf gut bei Hitze« über den Tresen gereicht. Kluftinger bedankte sich. Da er nicht wusste, wie er sein Essen heil im Auto bis zum Präsidium transportieren sollte, gesellte er sich an einem Stehtisch mit Sonnenschirm zu zwei türkischen Bauarbeitern, die offenbar ebenfalls eine verspätete Mittagspause hielten.
Er nahm einen Bissen und lächelte den beiden dabei zu. Sofort stiegen ihm die Tränen in die Augen: Jesses, war das scharf.
Kluftinger schnappte unwillkürlich nach Luft, was seine Tischgenossen mit heiserem Gelächter quittierten. »Scharf gut bei Hitze«, sagte einer. Kluftinger nickte und biss noch einmal ab, als wollte er zeigen, dass ihm die Schärfe nichts anhaben konnte.
Dabei sammelte sich etwas von der weißen Joghurtsoße unten an seinem Döner und tropfte ihm großzügig auf die Hose.
»Kruzitürken« entfuhr es dem Kommissar. Erschrocken blickte er auf: Dieser Fluch war hier denkbar fehl am Platze. Doch seine Tischgenossen lachten nur. Jetzt schmeckte ihm sein Essen nicht mehr. Er warf den Rest eilig in den Abfalleimer und hastete zu seinem Wagen. Die beiden Männer sahen ihm grinsend nach. Kluftinger ließ den Motor an und startete so schnell durch, dass die Reifen quietschten. Erst als der Imbisstand nicht einmal mehr im Rückspiegel zu erkennen war, atmete er auf.
Peinliche Situation. Er würde versuchen, sie schnellstmöglich aus seinem Gedächtnis zu streichen.
***
Noch immer leicht
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