Milchgeld: Kluftingers erster Fall
verstand mich immer. Mit ihm konnte ich über alles reden, auch wenn er oft nur an den Wochenenden zu Hause war. Er verwöhnte uns immer mit Geschenken. Er war der großzügigste Vater, den man sich vorstellen kann.« Kluftinger bemerkte, dass Theresas Augen feucht wurden.
»Er ermöglichte mir nach der Schule mein Kunststudium in Florenz. Immer wieder besuchte er mich in Italien, und als ich Giuseppe kennen lernte, gab er uns ohne mit der Wimper zu zucken hundertfünfzigtausend Mark, damit wir unser altes Bauernhaus kaufen konnten. Wissen Sie, ich brauche viel Platz für mein Atelier. Und als wir zuerst Schwierigkeiten hatten, von unserer Kunst zu leben, unterstützte er uns, wo er nur konnte. Er war so liebevoll zu Carla und dem kleinen Enzo. Das sind meine Kinder, Herr Kommissar. Er blühte richtig auf, bekam ein Leuchten in den Augen, wenn er seine zwei ›Engelchen‹, wie er immer sagte, sah. Er war ein so stolzer und liebevoller Großvater.«
Kluftinger hatte beobachtet, wie Julia Wagner schon seit einer Weile unruhig in ihrem Sessel hin und her gerutscht war, nun hielt sie nichts mehr.
»Ein liebevoller Großvater, ja? Der großzügigste Vater, den man sich vorstellen kann? Theresa, du bist so naiv wie eh und je«, sprudelte es aus ihr heraus. »Er hat deine Zuneigung mit seinem Geld gekauft, nachdem er erkannt hatte, dass ihm das bei Mutter und bei mir nicht mehr gelingt. Du warst immer die kleine naive Träumerin und er wusste, dass du ihn nicht durchschauen würdest.«
Theresa hatte Tränen in den Augen und schrie ihrer Schwester entgegen: »Ihr wart immer nur gemein zu Papa, du und Mutter. Er hat Tag und Nacht gearbeitet, um uns dieses Leben zu ermöglichen und ihr habt das nie gewürdigt. Mama hat ihm jeden Tag vorgeworfen, dass er ein Versager sei, als wir ins Allgäu ziehen mussten, weil sie Vater in der Firma so betrogen hatten. Er hat trotzdem alles für uns getan. Und Mutter ließ sich dann noch von ihm scheiden, weil er ihr nicht mehr gut genug war.«
»Nicht gut genug? Ihre Ehe bestand nur noch aus Lügen unseres Vaters. Er hat sie hinten und vorne betrogen und sie vor unseren Augen gedemütigt! Hast du mit deinem Kunstkram denn jeglichen Bezug zur Realität verloren? Komm erst mal wieder zurück ins echte Leben, Schwesterchen! Du hast das alles nicht mitbekommen, damals, weil du dich nur mit Kunst und Bildchenmalen beschäftigt hast. Du warst das verwöhnte Püppchen auf Wolke sieben!«
Es war an der Zeit, dass Kluftinger eingriff, um das Gespräch wieder in einigermaßen überschaubare Bahnen zu lenken. Er hatte wieder bei der Passage mit dem Umzug ins Allgäu gestutzt. Theresa hatte gesagt, ihre Mutter hätte Wachter immer wieder als Versager bezeichnet. Er bohrte nach.
»Frau Ferro, was genau wissen Sie über den Bruch in der Karriere Ihres Vaters?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Theresa, bei der nun die Trauer den Zorn gegen ihre Schwester wieder überwog. »Papa sagte zu mir nur immer, dass sie ihn in der Firma betrogen hätten, und er könne und wolle da um keinen Preis mehr arbeiten, weil sie ihn so hintergangen hätten.«
»Siehst du? Er hat dich nur belogen, und du hast es ihm geglaubt, du warst ja sein Prinzesschen. Herr Kluftinger«, Julia Wagner wandte sich an den Kommissar, »ich kann Ihnen nicht genau sagen, was damals vorgefallen ist, aber ich bin mir sicher, dass Vater die Hauptschuld trug. Wäre er ungerecht behandelt worden, hätte er sich das sicher nicht gefallen lassen. Er war keiner, der den Schwanz gleich einzieht. Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen, darüber sprach meine Mutter nicht einmal mit mir, aber ich glaube, Vater hatte sich mit seinen Chefs angelegt.«
Plötzlich stockte Julia Wagner in ihrer Ausführung. Irgendwie schien es dem Kommissar, als bereute sie ihre Äußerungen bereits wieder. Es wirkte, als wolle sie nun ihre Fassung, die sie kurzzeitig verloren hatte, wiederfinden. Mitten in diesen Versuch platzte Theresa mit ihrer Gegenrede:
»Julia, du bist so ungerecht und herzlos! Wie kannst du jetzt so über Papa reden? Du bist noch immer neidisch, weil er mich dir vorzog. Das geschah aber nur, weil ich die Einzige in der Familie war, die ihn verstanden hat. Und die ihn geliebt hat. Für euch, Mutter und dich, war er doch nur der Idiot, der für euren Unterhalt zu sorgen hatte! Du bist noch immer die gleiche kalte und berechnende Ziege wie …«
An dieser Stelle unterbrach Julia Wagner die beinahe hysterisch wirkenden Ausführungen ihrer
Weitere Kostenlose Bücher