Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Schwester, offenbar, weil sie ihre Fassung wiedergefunden hatte.
»Theresa, beruhige dich. Du bist angegriffen und mitgenommen, lass uns jetzt gehen. Du sagst Sachen, die du nicht ernst meinen kannst. Der Kommissar hat sicher Verständnis dafür, nicht wahr, Herr Kluftinger, Sie sehen, meine Schwester ist außer sich.«
Kluftinger merkte nun, dass die für ihn günstigste Zeit der Unterredung vorbei war. Julia Wagners Raison hatte wieder die Oberhand gewonnen und würde das Gespräch stärker kontrollieren. Wenn er mehr über den Bruch in Wachters Berufsleben erfahren wollte, würde sich das Kriminalerteufelchen auf seiner linken Schulter noch einmal vertrösten lassen müssen. Kluftinger gab sich also dem Engelchen auf der rechten Schulter geschlagen, verabschiedete die beiden Schwestern mit der Ankündigung eines weiteren Gesprächs und machte sich nach kurzer Zeit auf den Heimweg, nicht ohne Maier nochmals auf seinen Auftrag hinzuweisen, etwas über die Haushälterin zu erfahren. Im Eifer des Gefechts hatte er nämlich vergessen, Wachters Töchter zu fragen, ob ihr Vater jemanden beschäftigt hatte, der ihm den Haushalt machte.
***
Als Kluftinger am nächsten Morgen ins Präsidium kam, wartete zur Abwechslung einmal eine positive Überraschung auf ihn. Er hatte Recht gehabt: Wachter hatte eine Haushälterin. Sie hieß Elfriede Sieber, war 71 Jahre alt und wohnte in Kimratshofen. Maier hatte gestern Abend noch ihre Adresse herausbekommen und wollte es Kluftinger heute Früh voller Stolz erzählen. Als er jedoch ins Präsidium gekommen war, war Frau Sieber schon da gewesen. Sie hatte aus der Zeitung erfahren, was passiert war. Entsprechend sauertöpfisch guckte Maier drein, als Kluftinger ins Büro trat.
»Morgen.«
»Morgen.«
Maier sah Kluftinger an. »Gibt’s was?«, fragte der.
»Ja, die Haushälterin ist da.«
»Von Wachter?«
»Genau die.«
»Hast du die aufgetrieben?«, fragte Kluftinger und schon in der Frage lag Anerkennung.
»Ja und nein«, wand sich Maier, der das Lob seines Chefs nicht kampflos aufgeben wollte. »Es war so ….«, setzte er an, wurde jedoch von Kluftingers »Ist ja auch wurscht. Soll schleunigst reinkommen«, unterbrochen.
Mit gesenktem Kopf zog Maier ab und kam mit einer einfach, aber ordentlich gekleideten Frau zurück. Sie hatte einen Mantel an, das fiel Kluftinger zuerst auf, denn an diesem Morgen war es sehr schwül und er konnte sich nicht vorstellen, wie jemand freiwillig in einem solchen Aufzug erscheinen konnte. Vielleicht lag es daran, dass sie mit dem schwarzen Mantel ihre Trauer ausdrücken wollte, denn das Kleid, das sie darunter trug, war aus grobem, blauem Stoff. Sie hatte die Haare hochgesteckt und prüfte noch einmal ihren Sitz, als sie auf Kluftinger zukam.
Elfriede Sieber gab dem Kommissar die Hand und blickte dabei so traurig drein, dass er ihr, ohne es eigentlich zu wollen, »Mein Beileid« wünschte. Sie bedankte sich, als sei es selbstverständlich, auch der Haushälterin eine Trauerbezeugung zukommen zu lassen.
»Ich hab’s heute erst gelesen und bin dann gleich mit dem Bus hergekommen«, fing Frau Sieber an zu erzählen, ohne dass Kluftinger ihr noch irgendeine Frage gestellt hätte.
Er warf Maier einen Blick zu, woraufhin dieser mit den Schultern zuckte. Sie war also von selbst gekommen. Vielleicht war die Idee, den Mord erst einen Tag später an die Medien zu geben, doch nicht so gut gewesen. Dann hätten sie sie vielleicht schon gestern oder gar vorgestern auf dem Revier gehabt. Aber andererseits war es sicher auch eine gute Entscheidung gewesen: So hatten sie genügend Zeit, sich zu überlegen, was sie der Presse mitteilen wollten. Wer weiß, vielleicht hätte einer in der Hitze des Gefechts eine unbedachte Äußerung getan. Und womöglich noch die genaue Todesursache verraten. Das war Kluftingers Alptraum. Wenn das mit der Vorhangschnur rauskommen würde, hätten sie sicher keine ruhige Minute mehr. Er hatte das schon erlebt, bei Freunden in benachbarten Revieren.
Da standen auf einmal sogar Bild-Zeitung und RTL und so weiter vor der Tür. Das wollte er vermeiden. Deswegen hatten sie im täglichen Pressebericht der Polizei am Dienstagabend nur eine kleine Meldung zwischen einem Fahrraddiebstahl und einem Einbruch versteckt, die besagte, dass ein Mann ermordet worden sei.
Natürlich hatten die Leute von der Presse gleich nachgehakt, so leicht konnte man die nicht abspeisen. Jedenfalls die von der Zeitung nicht. Die Fernsehleute
Weitere Kostenlose Bücher