Milchgeld: Kluftingers erster Fall
Unbesiegte«, über einige Pilcher-Bücher, von denen er zumindest die Verfilmungen kannte. Er hatte nie verstanden, was seine Frau an diesen Schmonzetten fand. Dennoch nickte er zustimmend, als er den Titel »Sommer am Meer / Stürmische Begegnung. Zwei Romane.« las. Wenigstens hatte seine Frau hier Sparwillen bewiesen, eine Eigenschaft, die er bei ihr des Öfteren schmerzlich vermisste. Ihn konnte man allerdings mit diesen Filmen jagen. Nicht nur, dass sie in England spielten, in Cornwall, was er wusste, seit seine Frau ihm mit einer Reise dorthin in den Ohren lag. Seine Beziehung zu England war etwa so innig wie die seiner Frau zur Sparsamkeit. Die Engländer, die ihm bisher begegneten, vermochten nicht dieses offenbare Desinteresse abzubauen. In der Regel traf er beim Skifahren auf sie, wo sie mit ihren Jeans und ihrem ungelenken aber waghalsigen Fahrstil reichlich deplaziert wirkten.
Aber eigentlich sah man in den Pilcher-Filmen ja gar keine Engländer. Es waren immer deutsche Schauspieler, die hier John, Emily, Mortimer oder Lord Southbury Earl of Maine hießen. Das Schlimmste war aber, dass die Filme meist zur besten Tatort-Zeit liefen und der Kampf um die häusliche Fernbedienung vorprogrammiert war. Und Tatort musste er sehen. Nicht weil es ihm gefiel. Gott bewahre, natürlich nicht. Aber zu gerne erging er sich in Tiraden darüber, wie unrealistisch diese Krimis waren.
Etwas schätzte er aber doch an den Pilcher-Filmen: ihr »Wiedergutmachungspotenzial«. Hatte sich seine Frau über ihn geärgert, musste er nur sagen »Schatz, heute machen wir uns einen gemütlichen Fernsehabend und sehen uns diesen Pilcher-Film im Zweiten an«. Seine Frau, das bewies die Erfahrung, lenkte dann ein und setzte, da ihr Mann sich seine Langeweile nicht anmerken ließ, schnell dieses zufriedene »Er-ist-eigentlich-doch-irgendwie-romantisch-Gesicht« auf. Er lächelte, als er die Bücher sah.
Das Kochbuch hatte er immer noch nicht entdeckt. Er ging ächzend in die Knie, um sich die unteren Reihen näher anzusehen. Nur ein bisschen Ordnung. Man müsste die Bücher ja nicht gleich alphabetisch ordnen, wie Wachter das anscheinend immer getan hatte. Aber irgendein Prinzip sollte … plötzlich stutzte er. Er hatte gerade einen wichtigen Gedanken gehabt.
Aber was? Noch fühlte er ihn nur, hatte ihn noch nicht wirklich gedacht. Er tat alles, um ihn festzuhalten. Machte seinen Kopf ganz leer von allen anderen Gedanken. Er wagte nicht, sich zu bewegen, wollte genauso bleiben, wie er war, als er den Gedanken zuerst gespürt hatte. Und dann hatte er ihn. Er schlug sich gegen die Stirn. »Natürlich. Wie konnte ich das nur übersehen?«, sagte er laut zu sich selbst.
Blitzartig stand er auf, ignorierte den Schmerz, den diese ruckartige Bewegung in seinem Knie verursachte und eilte in den Hausgang. Er schnappte sich den Autoschlüssel, rief ein »Bin gleich wieder da« in Richtung Küche und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
»Wo gehst du hin? Vergiss bloß das Essen um sieben nicht!«, rief ihm seine Frau hinterher.
Aber das hörte Kluftinger schon nicht mehr.
***
Beim Betreten von Wachters Wohnung zitterten seine Hände. Er war aufgeregt. Nicht weil er das Gefühl hatte, etwas übersehen zu haben. Darüber würde er sich sicher noch zur Genüge ärgern. Nein, es war das Gefühl, dass er gleich einen entscheidenden Hinweis finden würde. Er liebte dieses Gefühl. Es war nicht das des Jägers, der seiner Beute nahe kommt, da war sich Kluftinger ziemlich sicher, auch wenn er kein Jäger war und ihm die Phantasie fehlte, sich in eine solche Situation hineinzuversetzen. Es war eine Vorfreude gepaart mit Aufregung. Wie das Gefühl nach einer wichtigen, besonders gut verlaufenen Prüfung, deren Ergebnis man noch nicht kennt. Jetzt hielt er sozusagen den Brief mit dem Prüfungsergebnis in der Hand. Er musste ihn nur noch öffnen.
Kluftinger stieß die Tür zum Wohnzimmer auf. Er besah sich den Raum genau. Wachters Töchter hatten offenbar noch nicht die Kraft gefunden, aufzuräumen. Das war gut. Es war noch alles so wie am Tag der Tat. Bis auf die Leiche natürlich. Kluftinger wartete eine Weile, bevor er den Raum betrat. Er wollte seinen Eindruck einer genauen Prüfung unterziehen. Dann nickte er. Er hatte Recht gehabt, kein Zweifel.
Ja, es hatte ein Todeskampf stattgefunden. In diesem Zimmer. Aber es war noch etwas anderes vorgegangen an diesem Vormittag. Etwas, das er bisher übersehen hatte. Oder aus dem, was
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