Milchgeld: Kluftingers erster Fall
werde alles daran setzen, das auch zu tun. Dagegen können Sie ja vernünftigerweise nichts haben. Im Gegenteil, Sie sollten mich nach besten Kräften unterstützen. Tun Sie das nicht, macht Sie das nicht nur lästig, sondern auch verdächtig …«
Der letzte Satz tat ihm schon leid, noch während er ihn aussprach. Er wusste, dass er dafür nun wirklich Schwierigkeiten bekommen konnte. Nicht für seine Verfolgungsjagd von vorhin; da hatte er sich korrekt verhalten. Aber jetzt … Er blickte die ältere der beiden Wachter-Töchter an. Ihr war für einen Moment buchstäblich die Luft weggeblieben.
Dann passierte etwas, womit er überhaupt nicht gerechnet hatte. Sie brach urplötzlich in Tränen aus. Alle Schleusen öffneten sich, sie brach förmlich vor ihm zusammen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nie, was er tun sollte, wenn Frauen zu weinen anfingen. Also tat er das, wovon er glaubte, dass es Menschen tun würden, die wissen, was zu tun ist: er ging einen Schritt vor und nahm sie in den Arm.
***
Die nächste Woche pendelte Kluftingers Gefühlslage zwischen himmelhoch-jauchzend und zu-Tode-betrübt. Einerseits war er froh, dass sie jetzt eine konkrete Spur hatten, die sie verfolgen konnten, andererseits führten die Ermittlungen auf dieser Spur ins Leere. Gleich nach der Beerdigung hatten sie ein Phantombild anfertigen lassen, hatten mit ungezählten Menschen gesprochen, das Bild herumgezeigt – nichts. Er verwünschte sich immer mehr für seine tölpelhafte Verfolgung bei der Beerdigung. Sein Knie tat ihm immer noch weh, vom Polizeiarzt war er sogar bandagiert worden. Aber sein Knie war nicht die einzige schmerzliche Erinnerung an diesen Tag, den er so gern aus seinem Gedächtnis gestrichen hätte.
Als seine Frau davon erfahren hatte, war sie außer sich gewesen. Wie man sich nur so benehmen könne, ob das jetzt die neue Polizeimethode sei, anderen die Beerdigung zu versauen … Kluftinger wusste natürlich, dass es ihr vor allen Dingen peinlich war. Die Geschichte war innerhalb eines halben Tages im ganzen Ort herum gewesen, alle wussten Bescheid. Sogar beim Einkaufen schaue man sie ganz komisch an, war sich seine Frau sicher.
»Wenigstens bin ich nicht der Mörder, sondern der, der ihn jagt«, hatte Kluftinger mit bitterem Sarkasmus entgegnet. So ganz wohl war ihm aber auch nicht in seiner Haut. Seine Kollegen hatten den Vorfall nicht mehr angesprochen, und auch seine Freunde hüteten sich, ihn zu erwähnen. Dennoch machte er ihm zu schaffen. Es war ihm peinlich. Und er ärgerte sich darüber, dass es ihm peinlich war.
Am meisten aber ärgerte er sich darüber, dass die ganze Aktion scheinbar überhaupt nichts gebracht hatte. Wer war der Mann auf der Beerdigung? Worüber hatte er mit Wachter einen Tag vor dessen Ermordung so heftig gestritten? Wäre Wachters Haushälterin doch nur ein bisschen neugieriger gewesen, wünschte er sich.
Parallel lief die Recherche zu Wachters Frauengeschichten. Doch auch diese Spur brachte sie nicht weiter. Sie stießen lediglich auf ein paar abgelegte Geliebte des Ermordeten, die als Täterinnen aber alle nicht in Frage kamen. Immerhin hatten zumindest die Hinweise auf Wachters ausschweifendes Leben gestimmt, versuchte Kluftinger wenigstens etwas Positives an den für die Ermittlungen wenig hilfreichen Ergebnissen zu finden.
Wäre, hätte, sollte … nach einer Woche gestand er es sich selbst ein: Sie kamen einfach nicht weiter.
Zu allem Überfluss wollte seine Frau nun auch noch mit ihrer Androhung ernst machen und tatsächlich ohne ihn verreisen. Das hatte es noch nie gegeben. Als ihm seine Frau ihre Pläne mitteilte, war er für einen kurzen Moment ehrlich geschockt. Andererseits konnte er ihr nun wirklich keine Vorwürfe machen, schließlich war ihr gemeinsamer Urlaub an ihm gescheitert.
Und als ob das alles nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatte sie zu allem Überfluss auch noch ein besonderes »Abschiedsgeschenk« parat: Zu Ehren ihrer beiden Strohwitwer hatten Annegret und seine Frau ein gemeinsames Abendessen der Paare vereinbart. Und das sollte am heutigen Samstag bei Kluftingers stattfinden.
***
Als Kluftinger sich von seinem Nachmittagsschlaf erhob, sich das immer noch leicht angeschwollene Knie rieb und ins Bad humpeln wollte, fiel ihm ein seltsamer, unangenehmer Geruch auf. Er kam aus der Küche, das roch er deutlich. Seine Frau stand dort inmitten eines Berges aus Töpfen, Tellern, Gemüse und Geschirr.
»Hast du was
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