Milchgeld: Kluftingers erster Fall
gecheckt.«
Kluftinger zog die Brauen hoch, als Schmied eines seiner Hasswörter gebrauchte. Sollte er sich in dem Kollegen getäuscht haben? Für dieses Mal beschloss er, ihm den Fehltritt durchgehen zu lassen. »Gehn wir rein«, sagte er.
Die Eingangstür gehörte zu einem alten Haus in einer Häuserzeile gegenüber einer Kirche, die am Rand des großen Marktplatzes stand. Zwei Polizeibeamte lehnten ein paar Meter entfernt am Geländer, das den Stadtbach vom Kopfsteinpflaster des Platzes trennte. Als Schmied ihnen zunickte, folgten sie den drei Kripo-Beamten. Kluftinger klingelte. »Stehen hinten auch Kollegen? Falls er ausbüxen will?«
Schmied nickte nur und wartete gespannt. Im Haus rührte sich nichts. Die Sprechanlage gab keinen Mucks von sich, im Treppenhaus war nichts zu hören. Kluftinger drückte gegen die Tür. Sie war nicht verschlossen und ging auf. Die fünf Männer stiegen die knarzenden Holztreppen in den fünften Stock hinauf, klingelten erneut, klopften, riefen – vergeblich.
»Wir müssen rein. Jemand muss einen Durchsuchungsbefehl besorgen. Und holt den Hausmeister.«
Etwa eine Stunde später standen sie wieder vor der Tür, diesmal mit der richterlichen Erlaubnis, die Wohnung betreten zu dürfen und mit dem Hausmeister, der ihnen aufschloss. Kluftinger ignorierte dessen dauernde Fragen, was denn passiert sei und bat einen der Polizeibeamten, den Mann nach draußen zu begleiten.
Als Kluftinger die Wohnung betrat, stockte ihm der Atem. Die Hitze in der Dachgeschoss-Wohnung war fast unerträglich. Ein muffiger Geruch lag in den Zimmern, offenbar war schon ein paar Tage nicht mehr gelüftet worden. Kluftinger öffnete sofort jedes Fenster, an dem er vorbei ging.
Die Wohnung war spärlich eingerichtet und sah sehr ordentlich aus. Irgendetwas störte Kluftinger, doch er kam nicht sofort darauf. Erst nachdem er alle Zimmer gesehen hatte, wusste er, was es war: Die Wohnung hatte keine Eigenheiten, keinen Charakter. Obwohl Lutzenberg hier wohnte, hatte er keine Bilder an den Wänden, keine Zettel, Ansichtskarten oder Zeitungen herumliegen. Wäre die Einrichtung etwas neuer und teurer gewesen, die Wohnung hätte auch im Prospekt eines Möbelhauses stehen können. Kluftinger setzte sich an den Küchentisch und blickte sich um. Währenddessen durchforsteten die Memminger Beamten die Schränke, hoben die Polster von den Sesseln, blickten unter die Matratzen.
»Ich denke, wir sollten eine Fahndung rausgeben, was meinen Sie?«, suchte Kluftinger Bestätigung bei seinem Memminger Kripo-Kollegen Schmied.
»Das wäre wohl das Beste«, pflichtete der ihm bei. »Nach allem, was Sie mir über den Fall erzählt haben, sieht es ganz danach aus, als seien wir in der Wohnung des Täters.«
Kluftinger nickte nur und sah zu Maier. Der verstand und zückte sein Telefon.
»Herr Kommissar …«, rief einer der Beamten aus dem Wohnzimmer.
»Ja«, antworteten Kluftinger und Schmied gleichzeitig und erhoben sich von ihren Stühlen. Sie sahen sich an und grinsten.
»Sie zuerst, es ist schließlich Ihr Fall«, ließ Schmied seinem Kollegen den Vortritt.
Ein Polizist hockte auf dem Boden des Zimmers und hatte ein paar Aktenordner vor sich, die er aus dem unteren Fach des Schrankes gezogen hatte. »Wir haben hier eine ganze Menge Ordner mit Papieren gefunden. Offenbar alles persönliche Sachen wie Finanzen und so was. Möchten Sie gleich mal einen Blick reinwerfen?«
Kluftinger schüttelte den Kopf. »Lassen sie alles rausschaffen. Meine Mitarbeiter kümmern sich dann darum.« Er wollte sich gerade wieder umdrehen, da fiel sein Blick auf etwas, das noch im Schrank stand.
»Geben Sie mir das da mal?«, bat er den Beamten am Boden.
»Das Buch?«, fragte der und zog es heraus. Es hatte einen blauen Einband, auf dem mit goldener Schrift zwei Jahreszahlen vermerkt waren. »1970 bis 1986«, las Kluftinger leise.
Es war kein Buch, es war das fehlende Fotoalbum.
»Sorgen Sie dafür, dass ich alles schnellstens bekomme?«, wandte er sich an Schmied.
»Versprochen.«
Kluftinger eilte nach draußen, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und sich bei seinem Kollegen mit einem ernstgemeinten »Danke« zu verabschieden.
»Wir sind ganz nah dran«, rief Kluftinger im Treppenhaus Maier zu, der am Geländer lehnte und telefonierte. »Lass uns gehen. Das hatte er bei sich im Schrank.« Der Kommissar winkte triumphierend mit dem Fotoalbum. Maier erkannte nicht, was sein Chef da in der Hand hielt, doch es schien ein bedeutender
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