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Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Milchgeld: Kluftingers erster Fall

Titel: Milchgeld: Kluftingers erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr , Volker Klüpfel
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einem anderen Verkehrsteilnehmer mit lautem Hupen quittiert. Kluftinger schüttelte den Kopf: Autofahren war nicht wirklich Maiers Stärke.
    Ohne ein Wort zu seinem Kollegen zu sagen, griff sich der Kommissar das Fotoalbum, das er hinten im Auto auf die Trommel gelegt hatte. Er schlug das blaue Buch auf und blätterte es durch. Es fanden sich Bilder, deren Inhalt Julia Wagner beschrieben hatte: Familienbilder aus dem Urlaub in Italien, Bilder der beiden Freunde – damals im besten Mannesalter – auf dem Tennisplatz, auf Golfplätzen im Ausland, im Allgäu gab es so etwas damals ja noch nicht. Und das Album enthielt Bilder, die von der beruflichen Stellung Wachters und auch Lutzenbergs zeugten: die beiden im weißen Labormantel bei der Arbeit, mit Reagenzgläsern und Versuchsanordnungen. Eine Fotografie zeigte sie bei der Übergabe einer Urkunde und eines dieser großen Schecks, die man aus Benefizveranstaltungen im Fernsehen kannte, vor Publikum, offenbar war es bei einer Preisverleihung aufgenommen worden. Noch konnte Kluftinger dieses vor ihm liegende Puzzle nicht zusammensetzen Aber die Bilder würden ihn weiterbringen, nicht nur, weil sie die noch ungeklärte Verbindung zwischen Andreas Lutzenberg und dem Ermordeten belegten. Er musste hier ansetzen und irgendwie den geheimen Code knacken, den das Album enthielt.
    Wieder war Kluftinger in Gedanken versunken, wieder bekam er von der Fahrt eigentlich nichts mit, nun aber drängte sich die unmittelbare Gegenwart unangenehm in sein Bewusstsein.
    Allmählich nämlich fühlte Kluftinger eine bedrohliche Übelkeit in sich hochsteigen. Der Geräuschbrei des Autos, das gleichförmige Gedudel des Autoradios, die warme, stickige Luft. Warum hatte er auch während der Fahrt die Bilder betrachten müssen? Ihm wurde ja schon beim Kartenlesen schlecht. Er streckte seinen Kopf in den Fahrtwind, doch das nahm ihm die Luft. Er hatte Durst. Nun versuchte er, mit einer bei ihm bewährten Atemtechnik seine Übelkeit zu besiegen.
    Schwer und laut atmend, mit genau bemessener Luftmenge beim Ein- und Ausatmen, nur auf seine Lungentätigkeit konzentriert, saß Kluftinger auf dem Beifahrersitz. Der Brechreiz war nun in seinem Zenith angekommen, denn Maier fuhr die scharfe Kurve an der Kemptener Ausfahrt mit ziemlich hoher Geschwindigkeit.
    Sollte er seinen Kollegen bitten, beim Drive-In des Fastfood-Lokals anzuhalten, an dem sie gleich vorbeikommen würden? Noch hatte er sich im Griff, aber wie lange konnte er noch ohne Toilette auskommen? Noch wollte er sich diese Blöße nicht vor Maier geben. Rechts zog das McDrive vorbei, die letzte zugängliche Toilette vor dem Polizeipräsidium. Nun hieß es alles oder nichts: durchhalten oder ein Unglück. Kluftinger konzentrierte sich auf das, was er draußen sah: den Berliner Platz mit den trostlosen Fassaden und den vielen Fahrbahnen, die sich hier trafen, die barocken Türme der Lorenzkirche, die majestätisch auftauchten, das Zentralhaus, ein modern umgebautes Hochhaus, das mit der Basilika um das Amt des Wahrzeichens der Stadt Kempten zu konkurrieren schien. Die Illerbrücke kam näher und zeigte das unmittelbare Ende der Fahrt an. Kluftinger konzentrierte sich weiter, sah Kinder, die in der Sonne auf dem Bolzplatz am Ufer der Iller Fußball spielten und auf das für sie viel zu große Tor schossen. Es war lange her, dass Kluftinger so intensiv wahrnahm, was es am Rande dieser beinahe jeden Tag von ihm befahrenen Ringstraße zu sehen gab. Links besah er sich genau das Krematorium der Stadt, rechts bemerkte er den Pferdeparcours, auf dem ein Mädchen mit einer schwarzen Kappe ihr rehbraunes Pferd über ein aus rot-weißen Rundhölzern aufgebautes Hindernis springen ließ, dann kam links die Friedhofshecke, vor der sich parallel zur Straße ein Halteplatz für Lkw befand. Ein Milchauto stand dort – »Schönmanger, der Geschmack des Allgäus« war darauf zu lesen. Nun sah er zu Maier hinüber, der seinen Blick erwiderte und überraschenderweise auf Anhieb zu verstehen schien, was gar nicht ausgesprochen war.
    »Da könnten wir noch einmal nachbohren. Sollen wir einen Termin ausmachen?«, fragte Maier dienstbeflissen und nicht ohne einen gewissen Stolz, selbst zur gleichen Zeit wie sein Vorgesetzter auf diese Idee gekommen zu sein.
    »Ja, später«, zwang sich der Kommissar ab, der nun das rettende Ufer bereits vor sich sah. Wenn die Ampel auf grün umschalten würde, wären sie in zehn Sekunden beim Präsidium und er könnte sein sonst

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