Milchmond (German Edition)
zu und sie machten ihm bereitwillig Platz. Alle hatten leere Obstlergläser vor sich stehen, und Gustl orderte die nächste Runde »Lissi, giab uns no a mal fünf Obschtler!«
»Das sind alles Skilehrer von der örtlichen Skischule. Sie erzählen, dass wir übermorgen Abend unbedingt zum großen Neujahrs-Gaudi-Springen an die Schanze kommen sollen. Außerdem ist noch ein Fackellauf geplant. Da geht es richtig zur Sache!« Aufgeregt berichtete Sylvia ihm von dem bevorstehenden Event. Die Männer nickten dazu und erklärten, dass dies der Höhepunkt des Jahres sei, den man auf keinen Fall verpassen dürfe.
Lissi hatte neue Obstlergläser vor sie hingestellt. Gustl prostete ihnen zu und wartete, bis jeder sein Glas in der Hand hatte, dann kippten sie mit einer ruckartigen Kopfbewegung das wärmende Nass die Kehle hinunter.
»Stell dir vor, Tobias, der Schorsch und ich sind bestimmt fünf Mal die Schwarze Piste runter gefahren. Es ging immer besser, das ist Wahnsinn, weißt du? Ich führe es dir nachher noch einmal vor!«, aufgeregt schwärmte Sylvia ihm vom Skilaufen des Vormittages vor. Sie war voller Euphorie und Stolz. Ihre vergnügten Augen mit dem strahlenden Lächeln verliehen ihr einen Glanz, der die umstehenden Männer in ihren Bann schlug.
Ja, dachte Tobias, das ist ihr Element. Da fühlt sie sich wohl wie ein Fisch im Wasser. Er fand die Stimmung und die Gute-Laune-Musik der Bar zwar auch anregend, leider hatten sich mit zunehmender Höhe seine Kopfschmerzen jedoch wieder verstärkt. Nachdem sie noch eine weitere Runde getrunken hatten, wollte Sylvia ihm nun unbedingt ihr Können auf der Schwarzen Piste, vorführen, die hinter ihnen beängstigend steil aufragte. Tobias versprach zuzusehen.
Sie setzte Mütze und Sonnenbrille auf, griff zu den im Schnee steckenden Skiern und stemmte sich mit weiten, kraftvollen Schwüngen davon in Richtung Anker-Schlepplift. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie oben ankam. Tobias kniff die Augen zusammen, um ihre schwarze Mütze oben an der Höhenstation des Lifts ausmachen zu können. Er staunte immer wieder, wie man sich hier in den Bergen mit der Einschätzung von Entfernungen täuschen konnte. Auf den ersten Blick sah die Piste zwar steil, aber nicht sonderlich lang aus. Sie überwand zirka dreihundert Höhenmeter. Jetzt aber, da er Sylvia so klein, kaum auszumachen, dort oben stehen sah, war er doch beeindruckt. Sie winkte ihm, und er gab ihr Zeichen zurück.
Sie fuhr los und sauste wie der Blitz in schnellen Stemmbögen den steilen Hang zu ihnen herab. Schorsch stand neben ihm, beobachtete sie auch und kommentierte anerkennend, »A gansch a Furchtlose. Schneid hat sie, das Maderl, das muss man sagen, gell Burschen?« Er nickte den anderen Kollegen Zustimmung heischend zu. Die brummten ebenfalls ihren beipflichtenden Kommentar und nickten.
Tobias gestand sich ein, niemals von dort hinunterfahren zu können. Er war da eben eher der vorsichtige Typ. Mit aufspritzender Schneefontäne kam Sylvia zwei Meter vor ihnen abrupt zum Stehen, löste mit elegantem Stöckerdruck die Bindungen, ließ die Ski im Schnee liegen und kam auf sie zu. »Na, Männer, was sagt ihr, war ich gut?« Nachdem alle kurz applaudiert hatten, kam sie an Tobias Seite, verschränkte ihre Finger in die seinen und drückte sie. Nach einer weiteren Obstler-Runde, die diesmal Tobias ausgab, wollten die Skiläufer wieder auf die Piste.
Tobias entschloss sich, für ein oder zwei Stunden auf die Sonnenterrasse der Rosshütte zu gehen. Er mietete sich Liege und Wolldecke und suchte sich einen Platz am Rande der Terrasse. Hier hatte er einen guten Blick auf die Piste und auf den Ort, sowie auf die umgebenden Berge. Es bot sich ihm ein atemberaubendes Gebirgs- Panorama. Unten im Tal lag winzig und friedlich Seefeld. Weißer Rauch kringelte aus den Schloten über den Dächern. Zufrieden kuschelte er sich in die Decke, nicht ohne vorher noch einmal sein Gesicht und die Lippen mit Sonnenschutz einzucremen. Dann legte er sich hin und schloss die Augen. Die wärmenden Sonnenstrahlen schienen seinen Körper mit neuer Energie aufzuladen, und er hatte das Gefühl, dass seine Kopfschmerzen langsam besser wurden.
Als der Urlaub zu Ende ging, war Tobias beinahe froh. Die zweite Woche hatte ebenfalls Superwetter gebracht. Bei Tagestemperaturen knapp unter Null waren die Pisten durch den tagelangen Sonnenschein nicht mehr leicht zu befahren. Sie verwandelten sich in den
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