Milchmond (German Edition)
gemeinsam verbrachten. Er freute sich immer sehr auf diese Aus-Zeiten vom Alltag und auf Sylvia.
Leider war ihm aufgefallen, dass das immer nur eine Woche lang wirklich schön war. Danach fing es an, ihn zu stören, dass sie dauernd Ablenkung, Spaß, Unterhaltung, Partys, Roulette und so weiter suchte. Das konnte ziemlich nervig und anstrengend sein. Genau an dem Punkt war er wieder angekommen. Wenn er an eine gemeinsame Zukunft mit ihr dachte, fragte er sich, wie lange das wohl gut gehen würde. Da er ein praktisch veranlagter Mensch war, wollte er deshalb schon seit geraumer Zeit, dass sie ganz zu ihm zog. Zum Testen, ob das gemeinsame Zusammenleben funktionieren würde.
Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen einen erneuten Anlauf für das Thema zu nehmen. Er war unehelich geboren und ohne Vater aufgewachsen. Der hatte seine Mutter kurz nach der Geburt verlassen. Mutter hatte ihm Bilder von ihm gezeigt. Persönlich hatte er ihn nie kennen gelernt und hatte auch bisher keinen Grund gesehen, das nachzuholen. Immerhin hatte sein Vater regelmäßig den Unterhalt bezahlt, was schon mehr war, als man heutzutage erwarten konnte, wie er aus leidvoller Erfahrung von seinem Beruf her wusste.
Vielleicht hing es damit zusammen, dass er nie eine vollständige Familie gehabt hatte, dass die Sehnsucht nach einer eigenen, heilen Familie so tief in ihm wurzelte. Mutter hatte nie einen Mann mit nach Hause gebracht. Für ihn war sie Zeit seines Lebens eine allein stehende Frau gewesen. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass sie sich jemals nach einem Mann gesehnt hatte. Erwähnt hatte sie jedenfalls nie etwas in dieser Richtung. Er und seine Mutter hatten eine ganz enge Beziehung gehabt. Zwei Monate nach seinem zweiten Staatsexamen war sie urplötzlich auf ihrer Arbeitsstelle verstorben. Die Obduktion hatte einen Hirnschlag ergeben. Das war jetzt über acht Jahre her und der bisher schlimmste Tag seines Lebens gewesen.
Seitdem fühlte er sich ganz allein. Er hatte nur noch seine Patentante Rosi Steinhöfel, die Schwester seiner Mutter. Sie lebte in Freising und musste jetzt auch bereits dreiundsechzig Jahre alt sein. Auch sie war ohne Mann geblieben. Sie war mit sechzig in Rente gegangen und lebte von ihrer guten Pension als Kreisverwaltungs-Beamtin in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Mit ihrem Cockerspaniel Rudi drehte sie am Tage mehrmals ihre Runden und das war's.
So wollte Tobias nicht leben. Für ihn waren eine Familie mit mindestens zwei Kindern, besser drei, ein Muss. Er wollte dann ebenfalls ein Haus im Grünen sein eigen nennen. Deshalb hatte er sich beizeiten schon das Loft, in dem er wohnte, als Kapitalgründung gekauft.
Diese Gedanken stiegen, trotz der quälenden Kopf-schmerzen, in ihm hoch. In Seefeld fand er so viel Tradition und schöne Häuser vor, dass er sich seiner Sehnsucht nach Heiler-Welt-Idylle hier immer ganz besonders bewusst wurde. Über diese Sehnsüchte schlief er noch einmal ein und wurde erst gegen Mittag durch das Zimmermädchen, das die Betten machen wollte, geweckt, weil er versäumt hatte, das Nicht-Stören-Schild rauszuhängen.
So nahm er sich vor, ebenfalls zur Rosshütte hochzu- fahren. Die Kopfschmerzen waren zum Glück schwächer geworden und er nahm noch einmal zwei Aspirin. Vielleicht würde die Höhenlage im Berg ebenfalls schmerzlindernd wirken, hoffte er.
Auf der Bergstation der Zahnradbahn angekommen, wandte er sich zunächst suchend Richtung Restauration. Er ging durch das Lokal. Massen von Skiläufern kehrten hier ein, um ihre Brotzeit einzunehmen. Er schaute sich suchend nach Sylvia um – sie war nicht da. Er trat wieder ins Freie und suchte den Platz mit den Sonnenstühlen ab. Auch dort konnte er sie nicht entdecken. Blieb noch die Pistenbar einige Meter höher. Laute Musik schallte ihm von dort entgegen und richtig, da saß sie, umringt von kernigen Burschen mit roten Sportjacken und Sonnenbrillen. Schorsch saß neben ihr. Er trat hinzu und hielt ihr von hinten die Augen zu
»Kai, Rudi, Willi?« rätselte sie laut lachend und drehte sich zu ihm um. Natürlich war das wieder einer ihrer Scherze, sie hatte keine Sekunde gebraucht, um ihn zu identifizieren. Alles prustete laut lachend wegen ihrer Schlagfertigkeit.
Sie küsste ihn und stellte ihn den anderen vor. »Also, das hier ist mein Schatzi, der Tobias. Das dort ist der Toni, der dort ist der Gustl und Schorsch kennst du ja!«
Tobias nickte der Runde
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