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Milchmond (German Edition)

Milchmond (German Edition)

Titel: Milchmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herfried Loose
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degradiert wurde, warf sie alles hin. Zweite Wahl wollte sie nicht sein - entweder Rampenlicht oder gar nicht! Ihr Musiklehrer, Herr Andres, hatte ihr noch sehr zugeredet, nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen und ihr Extra-Unterricht angeboten. Das hatte sie beleidigt ausgeschlagen, und so endete ihre Musikerkarriere bereits, ehe sie richtig begonnen hatte.
   Das erste Mal geküsst hatten sie sich auf einem Schulfest. Sie knutschten den ganzen Abend und tanzten eng umschlungen. Fred war auch bei den anderen Mädels sehr begehrt, und sie war stolz, dass sie ihn zum Freund gewonnen hatte. Ihre Liaison dauerte ein knappes halbes Jahr. Fred war anstrengend. Dauernd wollte er Sex mit ihr. Anfangs gefiel ihr das ja auch, bis sie merkte, dass er nur an sein Vergnügen dachte. Danach wurde sie wählerischer und lernte, sich die Jungs nach anderen Kriterien auszusuchen. Zwar war es ihr weiterhin wichtig, dass sie gut aussahen und Ausstrahlung besaßen, aber sie fing an, darauf zu achten, dass man sie hofierte, ähnlich wie damals als Primaballerina, die sie einmal für kurze Zeit gewesen war. Wurde ihr das versagt, reagierte sie schnippisch.
   Nach dem Abitur, das sie leidlich bestand, arbeitete sie ein halbes Jahr als Au-pair in Boston, bei Familie Beckham. Sie war von Amerika sehr beeindruckt. Die beiden kleinen Mädchen der Beckhams, die sie zu betreuen hatte, waren drei und fünf Jahre alt. Sie hatte ihre Aufgabe als Au-pair zwar gemeistert, aber es war ihr schwer gefallen. Anfangs hatten ihr die beiden Mädchen Spaß gemacht, hatte sie doch immer nur ihre beiden großen Brüder gehabt. Nach einigen Wochen aber wurden sie ihr zunehmend lästiger und der Job wurde ihr unangenehm. In Boston lernte sie Bob kennen. Bob arbeitete für einen örtlichen TV-Sender, von denen es in Amerika viele gab und machte Reportagen. Er und sein Job imponierten ihr sehr.
   Gegen Ende ihrer Amerikazeit bekam sie Nachricht von ihrem Vater, dass ihre Mutter wegen ihrer immer schlimmer werdenden Depressionen in eine Nervenklinik gekommen war. Zunächst für einige Wochen, wie es hieß. Aus der Ferne, im fremden Land, hatte sie das zunächst gar nicht so berührt. Mami war einige Wochen im Sanatorium, so etwas kam vor.
   Doch als Sylvia sie nach ihrer Rückkehr zum ersten Mal in der Klinik besuchte, erschrak sie. Ihre Mutter war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zwar war sie immer eine zarte, federleichte Person gewesen, aber nun war ihr Gesicht eingefallen, die Haut grau, und ihre Augen waren von dicken, dunklen Ringen unterlegt. Scharfe Linien zeichneten sich um ihren Mund ab, ihre Stimme hatte jede Kraft verloren.
   Als Sylvia sie so sah, war sie so schockiert, dass sie ihre Tränen nicht unterdrücken konnte.
   »Mami, was ist mir dir?«, hatte sie gefragt.
   »Ich weiß auch nicht, Kind. Es geht mir nicht gut. Meine Traurigkeit wird immer schlimmer. Ich komme mir vor, als säße ich in einem tiefen, dunklen Loch, aus dem ich nicht mehr hinauskomme«, hatte sie geantwortet. Dann hatten sie nebeneinander gesessen und lange geschwiegen. Nach einer geraumen Zeit schien für einen Moment neue Kraft in den Körper ihrer Mutter zurückzukehren, und sie wendete sich entschlossen ihrer Tochter zu. Ihr Blick wurde klar und eindringlich. »Kind, versprich mir, dass du etwas aus deinem Leben machst, hörst du?« Ihre Mutter hatte bei diesen Worten Sylvias Unterarm gefasst und ihn energisch gedrückt. »Mach, was dir wichtig ist; lass nichts aus! Mach nicht die gleichen Fehler wie ich, sondern feiere dein Leben, solange du kannst!« Sylvia schluckte und war sich nicht sicher, was ihre Mutter meinte.
   »Welche Fehler meinst du?« Lange hatte ihre Mutter darauf nicht geantwortet und nur ihr Taschentuch in der Faust zerknüllt. Dann aber begann sie den Kopf zu schütteln. Erst unmerklich, dann immer heftiger. Sie sah ihre Tochter bekümmert an, während ihre Augen sich mit Tränen füllten. »Ich sollte das vielleicht nicht sagen, aber wir beide, du und ich, wir hatten immer eine besondere Beziehung zueinander. Ich gebe dir den Rat: Wenn du einmal heiratest, dann schau dir den Mann gut an. Hör auf dein Herz, nicht auf deinen Verstand! Vielleicht ist es sogar besser, gar nicht zu heiraten. Es kann so einengen, so unfrei machen.«
   »Aber...«, Sylvia hatte nach den passenden Worten gesucht, »du warst nie wirklich glücklich mit Vater, stimmt's?«
   »Anfangs dachte ich, dass ich zufrieden war. Er war so

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