Milchrahmstrudel
»Was hab ich dir denn immer gepredigt, Fanni? Du sollst den Wagen nicht raus- aus der Garage und kurz darauf wieder reinfahren, nur um den Garagenboden wischen zu können. Kaltstarts, Fanni, die schaden dem Motor, die verursachen einen Kolbenfresser!«
»Denkst du, die paar Kaltstarts haben den Kolben schon aufgefressen?«, fragte Fanni.
Hans Rot verdrehte die Augen. »Gut, sehen wir es uns an.«
Fanni folgte ihm in die Garage. Er öffnete die Motorhaube.
»Ja, da hol mich doch der …« Hans wirkte schockiert. »Ja, schau dir das an.«
Fanni lugte über seine Schulter, konnte aber nichts Auffälliges erkennen.
»Die Batterie ist abgeklemmt«, sagte Hans. »Hast du da dran rumgefummelt?«
Wenn Fanni nicht so erschrocken gewesen wäre, hätte sie laut gelacht. Stattdessen fragte sie entgeistert: »Wie käme ich dazu, an einem Automotor was anzufassen?«
Wo du doch nicht mal weißt, wie man die Motorhaube öffnet!
Eben.
Oder bist du wirklich nicht mehr recht bei Sinnen? Phantasierst dir tote Altenpfleger auf Hintertreppen, klemmst schlafwandlerisch Autobatterien ab?
»Ja, wer macht denn so was?«, murmelte Hans Rot, während er an einem Kabel herumfuhrwerkte. »Das kann nur ein Dummejungenstreich gewesen sein.« Lauter fuhr er fort: »Aber schuld an dem Unfug bist du selbst, Fanni, weil du immer die Garage offen stehen lässt und nicht mal das Auto abschließt.«
Dummejungenstreich, dachte Fanni, vor zwanzig Jahren vielleicht, als Jonas zehn war und auf jeden noch so ausgefallenen Dreh kam. Aber heute? Die Praml-Kinder? Caro Rimmer? Nein, keines von denen ist so ein Früchtchen, wie Jonas eines war.
Hans Rot schlug die Motorhaube zu. »Alles paletti. Aber trotzdem keine Kaltstarts mehr. Hast du gehört, Fanni?«
Eine Antwort blieb ihr erspart, weil Hans’ Aufmerksamkeit von einem gemächlich auf dem Erlenweiler Ring dahertretenden Radfahrer abgelenkt wurde.
»Ja mei, der Sepp. Der Sepp schon wieder auf dem Weg zu seinem Neffen – auf eine Runde Schafkopf und ein paar Gläschen Obstbrand!«
Während er sprach, war Hans Rot die Zufahrt zur Straße hinuntergegangen.
Fanni schloss das Garagentor und wollte sich der Haustür zuwenden, da hörte sie ihren Mann rufen: »Ich geh auf einen Sprung mit rüber zum Stuck!«
Fanni nickte bloß. Offenbar bekam Nachbar Stuck in letzter Zeit regelmäßig Besuch von seinem Onkel.
Fanni warf einen Blick zurück. Der Radfahrer war abgestiegen und schlenderte, das Rad am Lenker mitführend, gemeinsam mit Hans Rot auf das Nachbarhaus zu. Fanni hatte einen guten Blick auf ihn, weil er auf der Rot’schen Seite der Straße ging: Knollennase, schütteres Haar, Wieselaugen – unverkennbar der Hausmeister der Katherinenresidenz.
Zufälle noch und noch!
7
Tante Luise hatte sich gereizt gezeigt, als Fanni am Montagmorgen anrief und ihren Besuch erst für den Nachmittag ankündigte.
»So lang willst du mich noch auf die Folter spannen?«
»Dafür bring ich dir auch was Interessantes mit«, hatte Fanni gesagt. »Ein ganz besonderes Rätsel, das nur du lösen kannst.«
Damit versetzte sie Tante Luise in noch größere Erregung.
Als Fanni nun auf den Haupteingang der Katherinenresidenz zuschritt (den regelmäßig zu benutzen sie sich ja vorgenommen hatte), sah sie Luise frenetisch von ihrem winzigen Balkon herunterwinken. Sie hatte sich offenbar extra hinausschieben lassen, um Fannis Ankunft mitzubekommen.
»Ihr habt ihn nicht angetroffen«, rief Luise Rot, sobald Fanni auf den Balkon hinaustrat, nachdem sie die Treppe hinauf- und weiter durch die Flure zu Luises Zimmer geeilt war. »Er war nie auf dieser Hütte.«
Fanni blieb die Antwort zunächst schuldig. Sie musste erst einmal den Anblick verdauen, den Tante Luise heute bot: Sie hatte sich oberhalb der Schläfen zwei rosa Schleifen ins Haar gesteckt. Über ihre Knie war die rosa Häkeldecke gebreitet, auf der ein herzförmiges rosa Kissen lag. Sie trug ein rosa T-Shirt, dessen Halsausschnitt kleine Wolken von silberfarbenen Schmetterlingen einfassten. Was aber Fanni fast umhaute, war das Label an der linken Seitennaht, das für sehr edel und sehr teuer stand.
Wie kam Luise zu dieser Marke? Soweit Fanni wusste, bestellte sie, seit sie in der Katherinenresidenz wohnte, ihre Kleidung aus dem Katalog. Fanni hatte schon verschiedene auf dem Couchtisch liegen sehen. Konnte man bei Versandhäusern auch derart exquisite Markenartikel beziehen?
Sie erkundigte sich danach.
Tante Luise legte verschwörerisch den Finger
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