Milchrahmstrudel
auf die Lippen. »Fannilein, man hat so seine Quellen. Auch wenn man im Rollstuhl sitzt und im Seniorenheim steckt.«
»Verrätst du mir die Quelle?«, bat Fanni schmeichelnd.
»Das T-Shirt hat mir Roland bei Ebay ersteigert.« Tante Luise sah Fanni streng an. »Aber kein Wort darüber, zu niemandem. Wenn das Hanno zu Ohren kommt, sitzt Roland gewaltig in der Tinte.« Sie schlug sich die Hand auf den Mund. »Musste er etwa deshalb verschwinden?« Doch schon im nächsten Augenblick ließ sie die Hand wieder sinken und schüttelte den Kopf. »Unsinn.«
Daraufhin umklammerte sie die Armlehnen ihres Rollstuhls, stemmte sich ein paar Zentimeter hoch und beugte sich vor, bis ihre spitze Nase fast an Fannis Brustkorb stieß. »Habt ihr Roland nun auf dieser Zellerhütte angetroffen oder nicht?«
»Nein«, erwiderte Fanni. »Und weder Wirtin und Wirt noch die Bedienung haben ihn auf dem Gruppenfoto erkannt. Allerdings …« Sie begann Luise zu berichten, was sie über Schwester Inge erfahren hatten.
Luise ließ sich zurückfallen und sah Fanni betroffen an. »Ich wüsste nicht, dass Schwester Inge mit Roland besonders eng gewesen wäre. Er war ja mit keiner so besonders eng, hat sie bloß – na, du weißt schon.« Sie wirkte plötzlich nachdenklich. »Darum ist es schon sehr seltsam, dass Monika diese Karte bekommen hat.«
Ist nicht alles an dem Fall sehr seltsam?
Luise hämmerte mit den Fingerspitzen einen kleinen Trommelwirbel auf die Armlehne. »Sagtest du nicht heute Morgen am Telefon, du würdest mir ein ganz besonderes Rätsel mitbringen?«
Fanni zog den Spiralblock aus ihrer Handtasche. »Rolands geheimes Notizbuch.«
»Zeig her!«, verlangte Luise. »Wo hast du es gefunden?«
Vom Balkon nebenan, der nur durch einen Sichtschutz getrennt war, vernahm Fanni ein Scheppern.
Publikum!
»Vielleicht sollten wir uns drinnen weiterunterhalten«, sagte Fanni schnell und schob Luise ins Zimmer. Die hatte den Spiralblock bereits in ihren Besitz gebracht und blätterte ihn auf.
» H . E .«, murmelte sie. »2.6. …«
Als sich nach einem halbherzigen Klopfen die Zimmertür öffnete, klappte sie den Block schnell zu und schob ihn unter das Kissen auf ihren Knien.
Erwin Hanno stand bereits im Raum. Er hatte einen der kleinen Becher aus durchsichtigem Plastik in der Hand, in dem sich eine winzige Tablette befand.
»Für den Blutdruck«, sagte er und stellte den Becher auf den Tisch. »Der Wert war ein bisschen hoch heute Mittag.« Eilig wandte er sich wieder zum Gehen, doch dann drehte er sich noch mal um. »Ach, Frau Rot, hätten Sie wohl eine Minute? Wir sind gerade dabei, unsere Unterlagen zu aktualisieren: die Anschriften und Telefonnummern der Angehörigen unserer Senioren auf den neuesten Stand zu bringen, durchzugehen, wer im Fall des Falles benachrichtigt werden soll und so weiter. Wenn Sie für einen Moment in mein Büro kommen wollen, könnten wir kurz überprüfen, ob alle Angaben noch stimmen.«
»So eine Überprüfung ist bei Tante Luise gar nicht nötig«, protestierte Fanni. »Mein Mann als ihr Betreuer würde Ihnen jede Änderung sofort mitteilen – darauf können Sie sich verlassen.«
»Nur zur Sicherheit, nur zur Sicherheit«, murmelte der Pflegedienstleiter. Laut fügte er hinzu: »Es ist meine Aufgabe, mich um diese Dinge zu kümmern, und ich nehme sie sehr ernst.«
Seufzend folgte ihm Fanni den Flur entlang, dann links um die Ecke, am Schwesternzimmer vorbei zu dem Raum, der ihm als Büro diente.
Hanno musste den PC erst hochfahren, und das schien zu dauern.
Endlich begann er, auf der Tastatur herumzutippen. »Wir sehen bloß kurz mal in den Einträgen nach. Das haben wir ja gleich.«
Weil aber Erwin Hanno dann jeden einzelnen Vermerk akribisch durchging, vergingen gut zwanzig Minuten, bis Fanni zu Tante Luise zurückkehren konnte.
Luise lag auf dem Boden. Ihr Rollstuhl war umgestürzt und hatte sie dabei nach vorn geschleudert, sodass sie quer davorlag.
»Wo bleibst du denn?«, rief sie, als sie Fanni sah. »Ich komm nicht an die Klingel ran.«
Fanni drückte den Knopf, der das Pflegepersonal rief. »Was ist denn nur passiert?«
»Mir ist gar nichts passiert«, antwortete Luise säuerlich, »nichts verstaucht, nichts gebrochen. Das Kissen hat den Aufprall gedämpft. Aber Rolands Notizen ist was passiert. Sie sind weg.«
Zwei Schwestern erschienen, stellten den Rollstuhl wieder auf, halfen Luise hinein und machten viel Wesens darum. »Wie konnten Sie nur umstürzen, Frau Rot?
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