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Milchrahmstrudel

Milchrahmstrudel

Titel: Milchrahmstrudel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mehler Jutta
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oder übermorgen wird die Hankel abtreten, aber so weit sind wir noch nicht. Woher sollte also eine zweite Leiche kommen?«
    »Dann liegt halt keine drin«, antwortete der Bestattergehilfe, der es eilig hatte, ungeduldig und machte Anstalten, den Rollstuhl vom Ausgang wegzuschieben.
    »Und das Handy?«, fragte sein Kollege.
    »Das ist halt irgendwann mal in der Kühlung liegen geblieben«, bekam er ungehalten zur Antwort. »Was geht’s uns an?«
    »Wir könnten nachsehen«, schlug der Kollege vor.
    »Verflucht noch mal«, rief der Eilige, »wir haben unsere Arbeit zu tun, und zwar flott. Das Aufstöbern verlorener Handys gehört da nicht dazu.« Er versuchte erneut, den Rollstuhl in Bewegung zu setzen, um ihn aus dem Weg zu schieben, aber die Frau hielt die Räder mit derart eisernem Griff fest, dass sie sich kein bisschen drehen ließen.
    »Loslassen! Sie müssen uns Platz machen!«
    Die Frau schob kämpferisch das Kinn vor. »Erst wenn Sie in diesem Kühldings nachgesehen haben!«
    »Irre alte Schachtel«, murmelte der ungeduldige Bestattergehilfe und drehte sich zu seinem Kollegen um.
    Der hatte bereits den Gobelin an der Schmalseite des Kühlkatafalks hochgeschlagen, eine Klappe geöffnet und ließ soeben die Schiene herausgleiten.
    »Da haben Sie Ihre zweite Leiche«, brummte der ungeduldige Bestattergehilfe. »Und jetzt geben Sie uns augenblicklich den Weg frei.«
    Der Rollstuhl machte einen Ruck und schoss nach vorn.
    »Falsche Richtung!«, schrie der ungeduldige Bestattergehilfe. »Sie müssen durch die Tür! Hinaus! Sie müssen hinaus!«
    Die Frau konnte nicht bis zum Kühlkatafalk vordringen, weil ihr eine Menge Hindernisse im Weg standen: die Rollbahre samt Sarg, das Podest, das zur Aufbahrung der Verstorbenen diente, zwei Hünen von Bestattergehilfen.
    Schlingernd kam sie zum Stehen. In die plötzlich entstandene Stille drang ein Stöhnen. Und damit kehrte Fanni ins laufende Geschehen zurück.

15
    Fanni hörte Stimmen, sah jedoch noch immer nichts als grauen Nebel, der sich allerdings stark gelichtet hatte, roch noch immer diese widerliche Mischung aus Duftöl und Fäulnis, spürte noch immer das Klebeband, das ihr den Mund verschloss.
    Plötzlich musste sie die Lider fest zukneifen. Etwas hatte sie schmerzhaft in die Augen getroffen.
    Licht!
    Licht?
    Ganz gewöhnliches Tageslicht! Du kannst die Augen wieder aufmachen!
    Bevor sie dazu kam, merkte sie, dass sich der Gestank verflüchtigte.
    Frische Luft!
    »Fanni!«
    Ein scharfer Schmerz ließ sie zusammenfahren, als das Klebeband abgerissen wurde, dann strömte die reine Luft auch in ihren Mund. Gleichzeitig fühlte sie sich umfasst und in eine sitzende Position gebracht.
    »Fanni!« Sie kannte die Stimme, hätte sie immer und überall erkannt. Es war die Stimme, die Sicherheit versprach – Geborgenheit, Wohlbehagen, Glücklichsein.
    Sie bettete den Kopf an eine faltige Wange, die – wie sie glasklar erfasst hatte – zu dieser Stimme gehörte.
    »Fanni?« Sie kannte auch diese Stimme. Sie kam aus einiger Entfernung. Das musste so sein, war immer so gewesen. Zwischen ihr und Hans Rot hatte es nie wirkliche Nähe gegeben.
    Fanni sog frische Luft in ihre Lungen, ließ die Augen zu und kuschelte sich in Sprudels Arme.
    Sie hörte sich entfernende Schritte.
    Adieu, Hans Rot!
    Kurz darauf vernahm Fanni leise quietschende Gummiräder. »Fanni?«
    Die Stimme war ihr erst seit Kurzem vertraut. Sie klang besorgt.
    Fanni gelang es zu sprechen. »Es geht mir gut, Tante Luise. Ich will mich nur ein wenig ausruhen.«
    »Aber nicht hier«, bestimmte Luise. »Nicht in der Schublade von diesem Kühldings.« Ihr Ton ließ keine Debatte zu. »Hilf ihr auf, Sprudel. Bring sie nach oben in mein Zimmer.«
    Als Fanni sich bewegte, stieg ihr wieder ein Schwall des ekligen Geruchs in die Nase.
    »Ich muss duschen«, sagte sie und klammerte sich haltsuchend an Sprudel.
     
    »Was geht hier drin eigentlich vor?«
    Fanni konnte die neue Stimme nicht gleich zuordnen. Erst nach einer Weile wurde ihr bewusst, dass sie zu Erwin Hanno, dem Pflegedienstleiter, gehörte.
    Inzwischen redeten mehrere Menschen durcheinander.
    »Sie hat im Kühlkatafalk gesteckt …« Definitiv eine fremde Stimme.
    »… haben wir nachgesehen, weil ein Handy klingelte.« Eine ebenso wenig bekannte Stimme.
    »Wie kam denn Frau Rot …?« Erwin Hanno.
    Unterbrochen von: »Wir bringen Sie jetzt sofort nach oben.« Kommandoton. Zweifelsfrei Tante Luise. »Am besten tun wir das in einem Rollstuhl. Sie

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