Milchrahmstrudel
müssen schnellstens einen besorgen, Herr Hanno.«
Als ob sich der Pflegedienstleiter von Luise herumkommandieren ließe, ging es Fanni durch den Kopf.
Ja, ist er nun ein verdammter Pflegedienstleiter oder nicht? Er muss doch selbst merken, dass Luise recht hat!
Erwin Hanno hatte es offenbar gemerkt, denn trotz seines Körperumfangs schoss er wie der Blitz aus dem Aussegnungsraum.
Bereits eine Minute später kehrte er mit einem Rollstuhl zurück und half Sprudel dabei, Fanni hineinzuheben.
»Ich komme gleich nach«, kündigte er an.
»Das eilt kein bisschen«, gab Luise über die Schulter zurück. Sie hatte ihren Rollstuhl gewendet, griff nun kräftig in die Räder und fuhr zum Aufzug.
Als ihr Sprudel mit Fanni folgen wollte, erwachte Fanni zum Leben. Aufgeregt deutete sie auf den Sarg der Frau Nagel, der fertig zum Abtransport auf der Rollbahre stand, und krächzte laut: »Roland. Roland Becker steckt da mit drin.«
Als Erwin Hanno nach einer guten Stunde Luises Zimmer betrat, hatte Fanni in deren Badezimmer bereits ausgiebig geduscht.
Sie hatte sich dabei erstaunlich gut von ihrem unfreiwilligen Aufenthalt im Kühlkatafalk erholt. Das konnte – prosaisch betrachtet – daran liegen, dass mitsamt den widerlichen Gerüchen auch der ausgestandene Schrecken im ablaufenden Duschwasser durch den Abfluss weggeschwemmt worden war.
Unleugbar, nach der Dusche fühlte sich Fanni, als wäre ihr ein wunderbares zweites Leben geschenkt worden. Aber lag das wirklich nur an ihrer Rettung aus dem Katafalk und an dem reinigenden Wasserschwall? Oder durfte dieser bemerkenswerte Effekt Sprudel zugeschrieben werden?
Er hatte sich nicht aus dem Badezimmer verdrängen lassen, hatte Fanni ausgezogen, ihr unter die Dusche geholfen und davor Wache gestanden. Als sie nach gut fünfzehn Minuten unterm voll aufgedrehten Duschkopf meinte, nun genug gereinigt zu sein, hatte er darauf beharrt, sie abzutrocknen. Und das hatte er auf eine Weise getan, die Fanni alles andere vergessen ließ.
Weil auch ihre gesamte Kleidung nach jenem Gemisch aus Fäulnis und Duftöl im Kühlkatafalk stank, hatte sie eingewilligt, sich von Luises Garderobe etwas zu borgen.
»Hier«, hatte Luise gesagt, als Fanni in ein Handtuch gewickelt aus dem Badezimmer trat, »dieser Stapel ist heute Morgen frisch aus der Wäscherei gekommen.«
Fanni hatte dankbar genommen, was ihr angeboten worden war. Nun steckte sie in einem rosa-weiß karierten Faltenrock und einem rosa Baumwollpulli mit Perlenstickerei.
Sie warf Sprudel einen strengen Blick zu, den er mit einer derartigen Unschuldsmiene beantwortete, dass sie breit grinsen musste.
Hanno hatte ein Tablett mitgebracht, auf dem eine Kanne Tee und drei Tassen standen. Er stellte es ab und schob für Fanni eifrig einen Stuhl am Esstisch zurecht.
Als sie sich langsam darauf niederließ, spürte sie Sprudels besorgten Blick.
Er argwöhnt, dass du noch unter Schock stehst! Fürchtet quasi Nachwehen!
Zu Recht, dachte Fanni, denn nun fühlte sie sich auf einmal wieder so benommen, als befände sie sich unter einer Glasglocke, die alle Geräusche dämpfte und alle Konturen zum Verschwimmen brachte.
»Wie konnte es nur geschehen …?«, begann Hanno, nachdem er Fanni eine Tasse Tee gereicht und sichtlich angespannt gewartet hatte, bis sie gut die Hälfte davon getrunken hatte.
Sein Doppelkinn bebte. Doch bevor er die Frage aussprechen konnte, die zu stellen ihm augenscheinlich alle Fassung raubte, klopfte es an der Tür, und gleich darauf trat Kriminalkommissar Marco Liebig ein.
Sprudel muss ihn hergebeten haben, dachte Fanni, merkte dann aber, dass auch Sprudel überrascht wirkte.
»Hans Rot hat bei mir in der Dienststelle angerufen«, erklärte Marco sein unerwartetes Erscheinen. »Dein Mann klang ganz schön aufgeregt, Fanni. Er meinte, ich sollte mal lieber hier nach dem Rechten sehen, anstatt im Büro die Füße auf den Schreibtisch zu legen.«
Hört sich in der Tat ganz nach Hans Rot an!
Ich muss dringend mit Hans sprechen, dachte Fanni vernebelt.
Und was willst du ihm sagen?
Dass ich niedergeschlagen und in einen Leichenkühlapparat gesteckt worden bin. Dass es so aussah, als wäre mein Leben damit zu Ende. Dass ich aber soeben ein neues angefangen habe – ein komplett neues.
»Fanni«, sagte Marco eindringlich, »du musst mir erzählen, was genau sich abgespielt hat.«
Fanni nickte. Ja, das musste sie. Doch dazu brauchte sie Worte. Aber irgendwann – wann war es bloß gewesen? – hatte
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