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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mehler
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eins.«
    Fanni nickte. Bene litt seit klein auf an einer neuronalen Störung, die es ihm verwehrte, abstrakt zu denken. Für die Leute von Erlenweiler war Bene ein Idiot. Das hinderte sie jedoch nicht daran, sich Benes praktischer Fähigkeiten geradezu ausbeuterisch zu bedienen. Bene dichtete Wasserhähne ab, schmierte Türangeln und zog Winterreifen auf. Manchmal bekam er nicht mal ein Dankeschön dafür.
    »Mein Ivo ist ganz verrückt mit dem Bene«, sagte Olga. »Einen besseren Vater und Spielkameraden hätte ich für den Buben nicht finden können.«
    Fanni lächelte Olga an. »Sie haben eine vorzügliche Entscheidung getroffen, als Sie nach Mirzas Tod hierhergekommen sind. Sogar der Alte ist glücklich darüber.«
    »Wenn er auch schwer darauf bedacht ist, sich das bloß nicht anmerken zu lassen«, sagte Olga.
    »Olga«, meinte Fanni darauf, »der Alte hat kein einziges Wort darüber verloren, dass Bene den Ivo adoptiert und ihn damit zum Hoferben gemacht hat. Das spricht Bände!«
    Olga stimmte ihr zu. »Ja, das tut es.« Dann setzte sie ihren Weg zur Milchkammer fort.
    Eben, dachte Fanni, während sie wartend vor der Stalltür herumlungerte. Sie wusste, es würde noch eine Weile dauern, bis die Milch in den Behälter floss, aus dem Olga die Kannen füllte. Eben, der alte Klein weiß genau, was er an seiner neuen Schwiegertochter hat, und auf ihren Sohn hält er inzwischen ganz große Stücke. Dabei ist Ivo erst sieben. Auch wenn sich die Leute das Maul über die Kleins zerreißen, recht hatte er, der Bauer, die Olga auf den Hof zu holen.
    Spöttisch wiederholte Fanni, was die Leute tuschelten: »Die Olga mitsamt ihrem Tschechenbankert.«
    Dieser Bankert würde den Klein-Hof erben. Einen Hof, der von einer Generation bayerischer Urgesteine zur nächsten weitergereicht worden war.
    Der Aufruhr über Benes neuerliche Heirat und über die Adoption Ivos hatte Wellen bis nach Birkdorf geschlagen.
    »Rosie Hübler sagt, die Olga ist nicht blöd«, hatte Frau Praml gegenüber Fanni geäußert, »die sorgt schon dafür, dass ihr der Bene kein Kind macht, damit ihr Bankert Hoferbe wird.«
    Solange niemand genau weiß, überlegte Fanni, während dumpfe Laute aus dem Stall in ihre Ohren drangen – Stampfen, Schnauben, Scharren, Muhen –, solange niemand weiß, ob Benes Mangel an Geistesgaben genetisch bedingt ist oder ob Bene während der Geburt nur zu wenig Sauerstoff bekam, wodurch etliche seiner durchaus vorhandenen Gehirnzellen abgestorben wären, tut Olga wohl sehr gut daran, zu verhüten. Das wäre ja ein gefundenes Fressen für die Leute von Erlenweiler, wenn Bene einen Kretin zeugen würde.
    Fanni konnte Hans Rot regelrecht das Wort »Zwangssterilisieren« verkünden hören.
    Sie fuhr zusammen, als sie in diesem Moment tatsächlich eine männliche Stimme vernahm.
    »Ja, die Frau Fanni«, dröhnte es hinter ihr.
    Fanni drehte sich um, fand sich dem alten Klein gegenüber und musste grinsen. Sie kannte ihn seit Jahrzehnten, und doch war sie jedes Mal, wenn sie ihn sah, von Neuem überrascht, wie er es hinkriegte, abgerissener und zerlumpter als die Vogelscheuche auszusehen, die er seinen Kirschbaum bewachen ließ.
    Bauer Klein trug wie immer seinen alten fleckigen Filzhut, der von Regen, Schnee und Nebel eingegangen und ihm deshalb zwei Nummern zu klein war. Über sein kariertes Hemd hatte er die löchrige Lodenjacke gezogen, die von einem der Urgesteine aus vergangenen Generationen stammen musste. Seine Hose endete in Fransen über den Knöcheln. Die Füße steckten in einem betagten Paar der im ganzen Umkreis bekannten Schlappen, die er selbst herstellte, indem er von ausgedienten Schuhen die Fersenteile wegschnitt.
    Fanni fragte zuvorkommend: »Was macht das Vieh, Bauer?« Niemand nannte den alten Klein anders, nicht einmal sein Enkel.
    Klein winkte ab. »Frisst einen Haufen Heu und Rüben, teure Vitamine und Arzneien. Und was geben die Rindviecher dafür her? – Nix als wertlose Milch und auch noch viel zu wenig davon.«
    Fanni lachte. Sie mochte Bauer Klein. Wieder einmal gratulierte sie sich dazu, dass es ihr zusammen mit Sprudel gelungen war, einen der ehrenwerten Bürger von Erlenweiler des Mordes an Mirza zu überführen. Wäre der wirkliche Täter damals davongekommen, dann hätte Klein für dessen Tat büßen müssen.
    Und jetzt stand Bauer Klein wieder unter Verdacht. Jedenfalls in den Augen der Leute von Erlenweiler.
    Fanni beschloss, sich vorsorglich Klarheit über Kleins Alibi zu

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