Milchschaum
drüben am Fluss.«
»Was?«, fragte Fanni neugierig.
»Das hübsche Café«, antwortete Sprudel. »Der Wegbeschreibung nach muss es das sein, das jener ehemalige Hausmeister betreibt. Da können wir gemütlich sitzen, Kaffee trinken, Kuchen essen, uns die Schülerlisten ansehen …«
»… und Sepp Bogenbacher ausfragen«, beendete Fanni den Satz.
Winzigs Name tauchte Jahr für Jahr in den Listen auf.
Fanni und Sprudel hatten sich darauf geeinigt, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Sie hatten bei einer jungen Frau in weißer Bluse und schwarzem Rock, die zu ihnen an den Tisch kam, Kaiserschmarrn und Kaffee bestellt, hatten gegessen und ab und zu einen Blick in die Schülerlisten geworfen.
»Weißt du, wer Winzigs Klassenkamerad war?«, fragte Sprudel plötzlich und deutete auf den letzten Namen auf einer Klassenliste.
»Ulrich Zankl«, las Fanni.
»Hieß nicht euer Bürgermeister so?«, erkundigte sich Sprudel. »Der, an dessen Grab Winzig erschlagen wurde?«
»Das kann nicht derselbe Ulrich Zankl sein«, sagte Fanni. »Unser Bürgermeister war über siebzig, als er starb. Winzig war gerade mal fünfzig.«
»Ulrich Zankl junior vielleicht«, überlegte Sprudel, »der Sohn des Bürgermeisters. Früher wurden die Söhne doch meistens nach den Vätern genannt. Bei Winzig war es ja auch so.«
»Sohn«, erwiderte Fanni verblüfft. »Nie von einem gehört. Der Bürgermeister hat zwei Töchter. Ich hab sie bei der Beerdigung gesehen. Beide sind verheiratet und haben Kinder.«
Sie beugte sich über die Listen und begann, sie genau zu studieren, eine nach der anderen. Nach einer Weile sagte sie:
»Dieser Ulrich Zankl ist nur in vier der Klassenlisten erwähnt. In den ersten paar nicht und in der letzten auch nicht. Er muss die Schule vor dem Abitur verlassen haben.«
Von Sprudel kam keine Antwortet. Er hielt nach der Frau Ausschau, die sie bedient hatte. Weil sie nirgends zu sehen war, ging er an die Theke und bestellte bei dem älteren Mann, der dort Milchtüten in ein Schubfach räumte, zwei Gläser Mineralwasser.
Zwei Minuten später kam der Mann an ihren Tisch; Fanni raffte die Listen zusammen, um Platz zu schaffen.
Der Mann räusperte sich. »Ich wollte Sie nicht belauschen. Aber als der Name Ulrich Zankl fiel, bin ich hellhörig geworden.«
»Kannten Sie den Jungen?«, fragte Fanni eilig.
»In den Siebzigern gab es niemanden in Cham, dem der Name nicht geläufig gewesen wäre. Es war so eine tragische Geschichte.«
»Wir würden sie sehr gerne erfahren.« Sprudel bat den Mann, den Fanni für Bogenbacher hielt, sich zu ihnen zu setzen. Sie warf Sprudel einen fragenden Blick zu und erhielt ein sachtes Kopfschütteln zur Antwort.
Genau! Wozu lange Erklärungen abgeben, wenn sich das Gespräch mit dem damaligen Hausmeister ganz von selbst ergibt?
»Ulrich Zankl junior«, begann Bogenbacher, »hatte mit knapp achtzehn Jahren einen tödlichen Unfall. Er ist spätabends auf dem Weg von seiner Stammkneipe zurück zum Internat von einem Steg in den Regen gestürzt und hat sich dabei das Genick gebrochen. Zuerst hieß es, er war besoffen.«
»Aber dem war nicht so«, sagte Sprudel, weil Bogenbacher schwieg.
Der nickte schließlich und fuhr fort: »Zankl hatte an diesem Abend nicht mehr als eine Halbe. Als das herauskam, fing einiges Gerede an. Ein paar recht unschöne Sachen sind dabei an den Tag gekommen.«
Meine Güte, dachte Fanni, weil der Gastwirt wieder schwieg, will er sich denn alles aus der Nase ziehen lassen?
Doch nach einer kurzen Pause sprach er weiter: »Zankl war Mitte der Siebziger als neuer Schüler in die Klasse gekommen, die drei Jahre später Abitur machen sollte. Er freundete sich offenbar recht schnell mit seinen beiden Banknachbarn an: Josef Winzig und Gerd Holler.« Bogenbacher strich über seinen Dreitagebart. »Die drei hätten unterschiedlicher nicht sein können. Zankl, klein, rundlich, mondgesichtig, war der Faule. Holler, groß und schlaksig, war der Vernünftige. Winzig, bullig wie ein Preisboxer, war der Teufelskerl. Holler hat für Winzig oft die Kastanien aus dem Feuer holen müssen.«
»Was hat Winzig denn so angestellt?«, erkundigte sich Sprudel, weil der Gastwirt wieder eine Pause machte.
Der winkte ab. »Was Lausbuben halt so treiben. Mit den Jahren wurde es aber immer ärger. Kurz bevor Zankl herkam, wäre Winzig beinahe von der Schule geflogen, weil er einen anderen Schüler gezwungen hatte, sein Geometrieheft aufzuessen. Holler war damals
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