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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mehler
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Klassensprecher und hat Winzig herausgepaukt. Er hat jeden Lehrer einzeln bekniet, gegen den Rauswurf zu stimmen. Danach ist es besser geworden. Jedenfalls dachten das alle.«
    Der ehemalige Hausmeister barg das Gesicht in den Händen, als schäme er sich dafür, dass man die Situation damals falsch eingeschätzt hatte.
    Nach einer Weile fuhr er fort: »Mit Zankl hatte Winzig das ideale Opfer gefunden. Er hat ihn fast wie einen Sklaven gehalten, hat ihn aufs Übelste drangsaliert. Und Zankl hat sich nicht dagegen gewehrt. Winzig konnte all seine Wut an ihm auslassen. Deshalb ist er wohl nach außen hin nicht mehr auffällig geworden. Selbst Holler wusste vermutlich nicht alles, was da lief. Viele glauben, dass Winzig mit Zankl auch ein homosexuelles Verhältnis hatte. Letztendlich spielt es aber keine Rolle …«
    Fanni fühlte, wie eine vage Furcht in ihr hochkroch. Furcht vor dem, was Bogenbacher nun erzählen würde.
    »Eines Abends – ungefähr ein Jahr vor dem Abitur – hingen Winzig, Zankl, Holler und noch ein paar aus der Klasse in ihrer Stammkneipe herum. So gegen zehn machten sie sich auf den Nachhauseweg. Mitten auf der Regenbrücke soll Winzig plötzlich zu Zankl gesagt haben: ›Spring da runter!‹
    Niemand dachte – so sagten Winzigs Klassenkameraden später –, dass Zankl wirklich springen würde. Er selbst vielleicht auch nicht. Aber auf einmal war der Zankl weg. Alle haben gerufen und nach ihm Ausschau gehalten. Doch Zankl blieb verschwunden. Ein paar sind zur Telefonzelle gelaufen, um die Polizei zu alarmieren. Holler ist zum Flussufer hinuntergestiegen und hat nach Zankl gesucht. Er ist ein Stück in den Fluss hineingewatet. Dabei muss ihn die Strömung erfasst haben. Holler wurde abgetrieben. Später haben ihn zwei Sanitäter ein paar hundert Meter weiter flussabwärts aufgelesen. Er hatte ein zersplittertes Schienbein, mehrere Rippenbrüche, etliche Platzwunden. Zankl hatte weniger Glück gehabt. Er war tot – Genickbruch. Holler lag ein halbes Jahr im Krankenhaus, dann wurde er in eine Rehabilitationsklinik geschickt. Er kehrte nie an unser Gymnasium in Cham zurück.«
    »Und Winzig?«, fragte Fanni.
    »Er veränderte sich«, antwortete der Gastwirt. »Fing plötzlich an, in die Kirche zu gehen, und redete davon, Geistlicher zu werden, obwohl er bis dahin unbedingt Architektur hatte studieren wollen. Als langsam immer mehr hässliche Details ans Licht kamen, standen die Abiturprüfungen fast vor der Tür. Man legte Winzig nichts in den Weg, denn eine Schuld an Zankls Tod konnte ihm nicht nachgewiesen, vielleicht nicht einmal vorgeworfen werden.«
    »Er hat sich nach dem Abitur wahrscheinlich nie mehr hier sehen lassen«, meinte Sprudel.
    Bogenbacher nickte. »Aber eines Tages stand eine Notiz unter ›Land und Leute‹ in der Zeitung, in der hieß es, dass er in Regensburg zum Priester geweiht worden ist.«
    Die junge Frau, die Fanni und Sprudel bedient hatte, war inzwischen zurückgekommen. Sie eilte an den Tisch. »Herr Bogenbacher, der Spirituosenhändler …«
    Der Gastwirt stand auf und hastete durch den Hinterausgang davon. Sprudel bat um die Rechnung.
    Als sie aus dem Café traten, war es wieder kalt geworden – kalt und spät. Rasch suchten sie sich den Weg zum Parkplatz an der Further Straße, wo Sprudel den Wagen abgestellt hatte.
    Fanni fror. Sie fror so sehr, dass ihre Zähne klapperten. Sprudel schob den Regler für die Heizung bis zum obersten Anschlag und fuhr los.
    Erst auf Höhe von Miltach war Fanni so weit, dass sie sprechen konnte, ohne dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.
    »Was auch immer sich Winzig während seiner Schulzeit aufs Kerbholz geladen hat«, sagte sie, »warum sollte ihn die Vergeltung dafür erst mehr als dreißig Jahre später ereilen?«
    Sprudel versuchte gerade, an dem Holzfuhrwerk vorbeizuspähen, das er schon seit Chammünster zu überholen trachtete. Während er dazu ansetzte, gab sich Fanni selbst die Antwort auf ihre Frage: »Weil ihn der Rächer aus den Augen verloren hatte.«
    Als Fanni in Deggendorf aus dem Wagen stieg, musste sie Sprudel hoch und heilig versprechen, am nächsten Tag so weit als möglich das Bett zu hüten.
    »Du musst das auskurieren«, sagte er.
    Sie nickte schlotternd, weil ihr ein eisiger Windstoß unter den Mantel fuhr.
    Sprudel begleitete sie zu ihrem Auto. Er kündigte an, den morgigen Tag für Behördengänge nutzen zu wollen.
    »So eine Erbschaft macht eine Menge Arbeit.«

14
    Fanni ging früh zu Bett.
    Als

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