Milchschaum
hinauf.
Hans Rot schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein, und dann begann er, Fanni herumzuscheuchen. Er wolle eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten für eine Nacht nach Erding mitnehmen. Fanni solle Ersatzwäsche einpacken, Handtuch und Waschzeug, Schlappen und Pyjama – was man halt so braucht.
»Falls wir nämlich«, erklärte ihr Mann gewichtig, »falls wir nämlich gewinnen, dann wird’s feucht am Abend, und dann bleiben wir besser über Nacht in Erding.«
Leni schlief noch, als Fanni am Samstagmorgen zwei Paar Ski und zwei Paar Stöcke in ihrem Wagen verstaute.
Sie war mit Sprudel um halb zehn am Skilift von Kalteck verabredet. Unterhalb des Lifthangs befanden sich ein weitläufiger Parkplatz und dahinter der Startpunkt der Loipe, die zum Schuhfleck führte.
Fanni wollte gerade noch mal zurück ins Haus eilen, um ihren Rucksack zu holen und Sprudels Langlaufschuhe, die sie ebenfalls im Keller bei den Sportsachen der Kinder aufbewahrte, als sie plötzlich eine Kinderstimme hinter sich hörte.
»Hallo, Frau Rot.«
Caro Rimmer stand vor der Garage.
»Ist Max auch mit Leni mitgekommen?«, fragte sie.
Fanni schüttelte den Kopf. »Max wohnt doppelt so weit weg wie Leni. Er kommt recht selten.«
»Schade«, sagte Caro enttäuscht. »Nie ist einer zum Spielen da.«
»Ivo wohnt ja nicht weit weg«, versuchte Fanni sie zu trösten, »nur ein paar Schritte über die Wiese.«
Caro schob die Unterlippe nach vorn und die Mundwinkel nach unten. »Der hat nie Zeit. Und mit Mädchen gibt er sich sowieso nicht ab.«
Fanni deutete aufs Nachbarhaus. »Der Praml-Bub …« Warum vergaß sie bloß immer, wie der Sohn der Pramls hieß?
Weil ihn alle »Praml-Bub« nennen!
Caro schniefte. »Der ist doch schon elf, und er hat Freunde in Birkdorf, zu denen er immer geht.«
Fanni und Caro standen sich gegenüber, und beide schwiegen bedrückt. Was hätte es auch zu sagen gegeben? Caro wusste wohl selbst am besten, dass hier am Erlenweiler Ring hauptsächlich Leute wohnten, deren Kinder längst erwachsen und weggezogen waren.
Irgendwie fühlte sich Fanni schuldig, weil Max nicht da war.
»Caro!«
Ein Mann kam die Zufahrt herauf. Groß, schlank, hellhaarig, braune Wildlederjacke.
Indiana Jones?
Fanni starrte ihn an.
»Ich bin Caros Vater«, stellte er sich vor. »Wir haben uns noch nicht kennengelernt, Frau Rot. Ich wohne ja auch noch nicht lange hier.«
Fanni gab ihm die Hand.
»Caro hatte gehofft, Ihr Enkel sei bei Ihnen«, sagte er.
»Tut mit leid«, antwortete Fanni und musterte ihn. Er war groß und wirkte kräftig. Pfarrer Winzig hätte ihm kaum Widerstand leisten können.
Er war’s, wetten, er war’s!
Fanni kaute auf ihrer Unterlippe. Die Beschreibung stimmt, überlegte sie, und seine Frau hat mir selbst erzählt, dass er die Lilien auf Frau Kundlers Grab gebracht hat und dann, während die Birkdorfer am Grab des Bürgermeisters vorbeidefilierten, zur Sparkasse gegangen ist. Die hatte aber schon geschlossen, weil es drei Uhr war. Auf dem Rückweg über den Birkenplatz muss Caros Vater unserem Pfarrer Winzig direkt in die Arme gelaufen sein.
»Na, dann mal los«, sagte der gerade zu seiner Tochter. »Wir wollten doch Oma frische Blumen bringen. Und für Opa müssen wir die Hustentropfen aus der Apotheke holen.« Er nickte Fanni zu, drückte sich einen breitkrempigen weichen Hut auf den Kopf, den er zuvor in der Hand gehalten hatte, und setzte sich in Bewegung.
Er ist es, er ist es! Weil er aussieht wie Indiana Jones, weil er in Birkdorf ein Fremder ist und weil er nachweislich am 20. Februar nachmittags um drei über den Birkenplatz marschierte!
»Tschüss, Frau Rot«, rief Caro.
»Herr Rimmer«, krächzte Fanni.
Caros Vater drehte sich um.
Willst du das nicht lieber dem Kommissar überlassen?
»Sorry«, sagte er. »Ich habe glatt versäumt, mich mit Namen vorzustellen. Holler, Gerd Holler. Meine Frau wollte nach der Hochzeit ihren Mädchennamen – den Namen ihrer Mutter – behalten.«
Gerd Holler!
Fanni musste sich an den Kotflügel ihres Wagens lehnen.
»Ist Ihnen nicht gut, Frau Rot?«
Fanni atmete tief durch. »Ich fürchte, sämtliche Kripoermittler im Landkreis suchen nach Ihnen, Herr Holler.«
Holler trat einen Schritt auf sie zu und studierte ihr Gesicht. Plötzlich sagte er: »Ehrlich gesagt, das fürchte ich auch.«
Fanni schluckte.
»Ich konnte es hinausschieben, solange mich niemand erkannte«, sprach er weiter. »Aber damit ist jetzt wohl Schluss.«
Fanni nickte
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