Milchschaum
sein könnte. Dass er es war, der den Pfarrer zum Grab des Bürgermeisters gebracht und ihn gezwungen hatte, sich davor hinzuknien, hatte er selbst zugegeben. Der Schlag auf den Kopf des Knienden hätte von ihm fast reflexartig ausgeführt worden sein können. Außerdem hatte er ein Motiv – eigentlich ein Doppelmotiv. Denn Winzig hatte nicht nur Ulrich Zankls Leben zerstört, sondern mehr oder weniger auch das von Gerd Holler.
Genau: Krankenbett statt Reifeprüfung!
Vermutlich hat er das Abitur gar nicht mehr nachgeholt, dachte Fanni.
Musste sich Jobs suchen, die ihn weit weg von der ostbayerischen Heimat trugen!
Nichts liegt näher, überlegte Fanni, als die Schlussfolgerung, dass Gerd Holler seine Wut nicht im Zaum halten konnte und zuschlug.
Man wird ihm den Prozess machen!
Fanni hoffte, dass Gerd Holler milde Richter finden würde.
Um halb eins erhob sie sich aus ihrem Sessel und machte sich eine Suppe aus Karotten und Brokkoli. Beim Essen stellte sie fest, dass ihr Hals nur noch ein kleines bisschen kratzte. Sie nahm als Nachtisch eine weitere Lutschtablette.
Es ging auf zwei Uhr zu, als Fanni aus der Haustür trat, um die Karottenschalen und den Brokkolistrunk zum Kompost zu tragen. Auf dem Rückweg ließ sie die offene Haustür links liegen und schlenderte ein Stückchen die Zufahrt hinunter, weil sie nachsehen wollte, ob noch ein paar Krokusse blühten oder ob alle schon verwelkt waren.
Vom Straßenrand aus blickten ihr plötzlich Frau Praml und Elsie Kraft entgegen.
Fanni zuckte zusammen.
Sie starrte Elsie an, die einen kurzen Gruß murmelte.
Fanni grüßte verhalten zurück. Sie und Elsie Kraft kannten sich schließlich nur vom Sehen.
Ihr Blick wanderte zu Frau Praml, die jetzt ebenfalls grüßte – sehr, sehr reserviert.
Kein Wunder, du hast sie ja gestern einfach stehen lassen!
»Oh«, machte Fanni. »Oh, Frau Praml, tut mir leid, dass ich gestern so abrupt …«
»Was war denn mit Ihrer Tochter?«, fragte Frau Praml. »Sie haben plötzlich ›Leni‹ gerufen und sind davongebraust.«
»Ich … äh«, stotterte Fanni, »ich hatte vergessen, sie abzuholen.«
Frau Pramls Miene hellte sich auf. »Das kenn ich. Siedendheiß wird einem, wenn man nach Hause kommt und vergessen hat, die Kinder von der Schule oder vom Sportplatz mit heimzunehmen.«
Frau Praml schien verdrängt zu haben, dass Leni über das Schul-Sportplatz-Klavierunterricht-Alter längst hinaus war.
Fanni hütete sich, sie daran zu erinnern. »Sind Sie auf dem Weg zur Nachmittagsandacht?«, fragte sie.
»Die fängt erst um fünf an«, antwortete Frau Praml schulmeisterlich. »Elsie«, sie deutete auf ihre Begleiterin, als stünde der gesamte Frauenbund dort am Erlenweiler Ring und Fanni wüsste nicht, wer gemeint war, »Elsie ist auf einen Besuch zu mir herübergekommen. Wir wollten uns bei einer Tasse Kaffee ein bisschen unterhalten, aber wir sind vertrieben worden.« Frau Praml begann an den Fingern abzuzählen: »Mein Mann hockt im Wohnzimmer und schaut Fußball. Mein Sohn hat auf dem Küchentisch eine Rennbahn aufgebaut. Meine Tochter hat zwei Freundinnen da, die in jedem Winkel herumstöbern. Elsie und ich haben jetzt zwei Möglichkeiten: spazieren gehen oder uns im Bügelzimmer einschließen.«
Elsie …
Fanni wischte einen Regentropfen ab, der ihr auf die Nase gefallen war. Sie sah zu den dunklen Wolken am Himmel hinauf, und dann sah sie zurück zu Frau Praml und Elsie. »Wollen Sie Ihren Kaffee bei mir trinken?«
Beide Frauen nickten simultan. Fanni machte eine einladende Handbewegung zu ihrer offenen Haustür hin.
Frau Praml und Elsie Kraft saßen in Fannis Wohnzimmer und löffelten Milchschaum. Das Gespräch hatte sich vom Brand im Wald – dem inzwischen nur noch wenig Interesse entgegengebracht wurde, jedenfalls seitens Frau Praml – zum Brand auf dem Saller-Anwesen verlagert.
»Es mag sich ja unchristlich anhören«, sagte Elsie Kraft gerade, »aber ich gönn es dem Erbschleicher, dass sein Stadel abgebrannt ist. Warum sollen immer nur wir den Schaden haben.« Sie schnäuzte sich in ihr Taschentuch und wischte sich dann die Augen damit.
Frau Praml tätschelte ihre Hand. »Das wird schon wieder, Elsie. Der Bub …«
»Der Bub«, unterbrach sie Elsie, »verkraftet es nicht. Er hatte voll und ganz auf diese Erbschaft gesetzt. Wo sollen wir denn jetzt das Geld für seine Meisterprüfung hernehmen?«
»Das hört sich ja an, als könne man ohne Erbschaft oder Lottogewinn niemals Handwerksmeister
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