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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mehler
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Zweige knacken und Kiesel knirschen.
    Plötzlich war es still.
    Fanni hob den Kopf. Im Abhang bewegte sich nichts mehr. Steine, abgebrochene Äste, Tannenzapfen, entwurzelte Heidelbeerstauden, alles lag ruhig da.
    Sie lauschte.
    Ja, es war ganz still ringsum, sehr still.
    Fanni atmete ein und langsam aus. Als der Atem aufhörte auszuströmen, vernahm sie das Rascheln.
    Es kam von rechts oberhalb.
    Fanni stützte den Oberkörper auf und legte den Kopf schräg. Der Fichtenstamm, der den Steinbrocken abbekommen hatte, geriet in ihr Blickfeld und dahinter ein mahagonifarbener, zerzauster Haarschopf.
    Rosie Hübler!
    Diese verfilzte Mähne kann nicht zu Rosie Hübler gehören!
    Sie tat es.
    Aber die Fratze, die sich nun am Stamm vorbeischob, erinnerte nur vage an die ach so unerschütterliche Vorsitzende des Birkdorfer Frauenbundes.
    Im nächsten Augenblick schoss Rosie auf Fanni zu. Die Fratze hing auf einmal direkt über Fannis Kopf.
    Fanni stemmte sich noch ein Stückchen höher und sah ihr in die Augen.
    Mordlust!
    Fannis Armmuskeln begannen zu erschlaffen.
    Renn weg, jetzt! Los!
    »Du«, zischte Rosie Hübler, »du und dein Erbschleicher, ihr schwärzt mich nicht an bei der Polizei. Bevor ihr den Mund aufmachen könnt, seid ihr tot, tot …«
    Fanni sah, wie sich Rosies Hände hoben. Sie hielten einen armdicken Ast umklammert.
    Weeeeeg!
    Es war zu spät.
    Der Knüppel kam mit Schwung herunter.
    Fanni ließ sich auf den Waldboden zurückfallen, kniff die Augen zu und wartete darauf, dass ihr Schädel bersten würde.
    Sie hörte einen Aufprall, empfand aber keinen Schmerz.
    Wer tot ist, dem tut halt nichts mehr weh!
    Und wieso quasseln die Gedanken immer noch?
    »Fanni!«
    Eine Hand strich zärtlich über ihre Haare – viele Male –, eine andere streichelte vorsichtig über ihren Rücken.
    »Fanni, bitte!«
    Fanni schob ihre Nase ein winziges Stückchen nach rechts, heraus aus der lockeren Erde, und blinzelte. Sie sah ein Knie auf dem Boden. Das Knie war in braunen Cordstoff gekleidet.
    »Fanni, sag doch was!«
    Die Hand schob sich von Fannis Rücken, zwängte sich zwischen Waldboden und rechte Schulter und hob sie ganz vorsichtig an. Das verschaffte Fannis rechtem Arm Bewegungsfreiheit. Er winkelte sich an, und sie stützte sich darauf. Als sie den Kopf hob, fand sie Sprudels besorgten Blick.
    »Fanni!«
    Sie saßen eng aneinander geschmiegt auf dem schwarzen Waldboden. Sprudel hielt Fanni ganz fest in den Armen.
    »Sie wollte mich erschlagen«, flüsterte Fanni.
    »Ich bin ihr zuvorgekommen«, sagte Sprudel.
    »Aber …«, wollte Fanni widersprechen, als ihr aufging, was Sprudel gesagt hatte. »Du hast sie – erwischt?«, wisperte sie.
    Sprudel nickte an ihrer Wange. Ein Ansatz von Bartstoppeln schabte auf ihrer Haut auf und ab.
    »Wo …?«
    Das Schaben kurvte nach links. Fanni konnte den Kopf nicht in die angegebene Richtung drehen, weil Sprudel seine Wange ganz fest an ihre gepresst hielt. Sie versuchte, um seinen Hinterkopf herumzuschielen, konnte aber nur Geäst und Gestein erkennen.
    Plötzlich geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Von schräg hinter Sprudel war ein Keuchen zu vernehmen, und im selben Moment sank er in sich zusammen.
    Bevor Rosie Hübler mit dem Steinbrocken, den sie umklammert hielt, ein zweites Mal zuschlagen konnte, war Fanni aufgesprungen.
    Du solltest dich nach einer Waffe umsehen, Fanni Rot!
    Waffe!?
    Und da fiel ihr ein, dass sie sehr wohl eine Waffe besaß. Eine wirksame Abwehrwaffe. Sie griff in die Tasche ihres Anoraks und drückte, schon während sie das Pfefferspray herauszog, auf den Spraykopf der Dose.
    Rosie kam auf sie zu, zögerte jedoch, als sie den Zischlaut vernahm. Das verschaffte Fanni die halbe Sekunde, die nötig war, die Düse auf sie zu richten.
    Fanni hielt den Spraykopf gedrückt, bis das Zischen verstummte. Ihre Augen brannten. Tränen strömten über ihre Wangen.
    Rosie kniete zusammengekrümmt auf dem Boden, mit beiden Armen schützte sie ihr Gesicht.
    »Wir müssen ihr die Hände fesseln«, murmelte eine Stimme hinter Fanni.
    Sie fuhr herum.
    Sprudel erhob sich stöhnend. Aus einer Platzwunde unterhalb seiner Schläfe sickerte Blut.
    Rosie spuckte Gift und Galle.
    Sprudel hatte ihr die Arme auf den Rücken gedreht und ihre Handgelenke mit Fannis Halstuch zusammengebunden. Rosies Augen waren rot und verquollen. Unter den zugeschwollenen Lidern liefen Tränen heraus.
    Sprudel sprach in sein Handy.
    Was er sagte, traf wie eine Brandung auf Fannis Ohren:

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