Miles Flint 01 - Die Verschollenen
Schiffslizenz war abgelaufen gewesen; dafür hätte er sie hochnehmen können. Ebenso gut hätte er ihr folgen können, um den Verschwundenen aufzuspüren und diese Person zu verhaften, aber das hatte er nicht getan. Paloma hatte ihn überredet, ein Auge zuzudrücken. Nur dieses eine Mal.
Über die Jahre hinweg waren sie Freunde geworden, tauschten Informationen aus und halfen sich gegenseitig. Auch nachdem Paloma beschlossen halte, dass sich das Gewerbe für ihren Geschmack zu sehr verändert hatte, hatte sie immer noch ihre Finger im Spiel und wusste, was vor sich ging.
Flint klopfte nicht, obwohl die Tür beinahe furchteinflößend aussah. Paloma hatte einige Meter von ihrem Büro entfernt Alarmsysteme eingerichtet und wusste, wenn sich irgendjemand näherte. Die Alarmsysteme waren offensichtlich mit einem Bildübertragungssystem gekoppelt, denn sie öffnete automatisch die Tür für potentielle Klienten und Freunde.
War die Tür also offen, wusste Flint, dass Paloma da war. Sie verbrachte die meiste Zeit in ihrem Büro, aber er wusste nicht, wie ihr Tagesablauf zur Zeit aufgebaut war. Er hatte sie seit einigen Monaten nicht mehr gesehen.
Paloma saß hinter ihrem wackeligen Schreibtisch. Sie sah winzig und zerbrechlich aus, fast wie ein Vogel. Ihr weißes Haar ließ die Haut noch dunkler erscheinen, als sie so oder so schon war. Sie trug ein Sweatshirt, dessen lange Ärmel die Muskeln ihrer Arme verbargen, und Flint hatte beinahe ein Jahr gebraucht, bis ihm klar geworden war, dass ihre Handrücken mit Links und Sicherheitschips aller Art überzogen waren.
»Hey, Schönheit«, sagte er.
Paloma lächelte, und das Lächeln brachte ihre schwarzen Augen zum Funkeln. »Selber Schönheit. Wie kommt’s, dass du mich so lange nicht besucht hast?«
»Ich habe dich doch gewarnt, dass es schwieriger werden wird zusammenzukommen, wenn ich erst Detective bin.«
»Und ist das alles, was du immer sein wolltest?«
Sein Grinsen verblasste. Vor ihr konnte er nicht viel verbergen.
Sie seufzte. »Du musst dich also schon mit harten Entscheidungen herumschlagen, nicht wahr, Miles?«
Er wünschte, sie hätte einen Besucherstuhl in ihrem Büro, aber sie ließ ihre Klienten gern stehen. Auf diese Weise blieben sie stets ein wenig angreifbar. Flint jedoch hätte eine kleine Ruhepause vertragen können.
»Ich setze gern Puzzles zusammen, Paloma.«
»Ich weiß«, sagte sie.
»Und ich helfe gern anderen Leuten.«
»Darum hast du ursprünglich bei der Polizei angeheuert, hast du gesagt.« Ihr Ton blieb neutral. Als Flint ihr zum ersten Mal davon erzählt hatte, hatte sie ihn ausgelacht. Dann erst hatte sie begriffen, dass es ihm ernst war. Sie hatte sich nicht entschuldigt, aber sie hatte von da an mehr auf seine Gefühle im Zusammenhang mit seiner Berufswahl geachtet.
Er nickte.
»Sie wollen wohl nicht, dass du weiterhin den Leuten hilfst, richtig?«, fragte sie.
»Das ist kein Problem, solange ich es mit echten Kriminellen zu tun habe.«
»Aha«, machte sie leise. »Du musst jemanden ausliefern. An wen? Die Rev? Die Ebe? Die Disty?«
»Die Wygnin.«
Sie schloss die Augen. Ihr Gesicht sah kurz so aus wie ein Totenschädel. Dann schlug sie die Augen wieder auf, als hätte dieser kurze Moment der Dunkelheit ihr neue Kraft verliehen.
»Dann bist du wohl aus beruflichen Gründen hier«, mutmaßte sie.
Flint nickte.
»Soll ich die Rechnung der Stadt schicken?«
»Nein«, sagte er. »Das ist eine persönliche Angelegenheit. Gib mir deine Kontodaten, dann werde ich das Geld transferieren.«
»Erzähl mir erst, was du willst, dann sage ich dir, ob ich dir helfen kann.«
»So merkwürdig es klingt, ich brauche den besten und verlässlichsten Verschwindedienst auf dem Mond.«
Sie sah ihn scharf an. »Bist du den Wygnin in die Quere gekommen?«
»Das ist nicht für mich«, erwiderte er.
Paloma stemmte die Hände auf den Tisch und erhob sich. Stehend war sie auch nur ein paar Zentimeter größer als sitzend, aber ihre entschlossene Haltung ließ sie irgendwie stärker erscheinen.
»Bist du den Wygnin in die Quere gekommen, Miles?«
»Noch nicht«, sagte er.
»Du darfst ihnen nicht in die Quere kommen. Wenn sie eine Zielperson haben, musst du sie ihnen übergeben. Sie werden hinter dir her sein, wenn du es nicht tust, und du hast einen wundervollen Geist. Den werden sie zerstören und sich noch einbilden, sie hätten dir einen Gefallen getan.«
»Sie werden nicht hinter mir her sein.«
Paloma kam hinter dem Schreibtisch
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