Miles Flint 01 - Die Verschollenen
Rev nicht nur, wer sie war, sondern auch, wer sie vorgab zu sein? War der Pilot so schlau?
Ekaterina wusste es nicht. Aber sie würde das Risiko eingehen müssen, und sie würde es bald tun müssen.
Der Computer gab einen Piepton von sich. »Wir dringen in den vom Mond beherrschten Raum ein«, verkündete die androgyne Stimme. »Schiffsidentifikation und persönliche Identifikation erforderlich. Der offizielle Kanal wurde geöffnet.«
Ekaterina hatte den Computer der Jacht nicht darauf programmiert, einen Kommunikationskanal mit irgendjemandem zu öffnen. Diese Anweisung musste bereits im System gesteckt haben.
Vermutlich steckte sie in den Systemen der meisten Raumfahrzeuge – eine Absicherung, um den Piloten vor sich selbst zu schützen.
»Identifikation gesetzlich vorgeschrieben.« Es hörte sich fast so an, als wäre die Computerstimme verärgert, auch wenn Ekaterina wusste, dass das nicht sein konnte. »Der entsprechende Kommunikationskanal steht bereit.«
Wenn sie weiter wartete, würden die Anweisungen des Computers dann immer einfacher und einfacher werden? Würde der Computer die Identifikation am Ende für sie übernehmen, oder würde er sie und das Schiff den hiesigen Behörden übergeben?
Ekaterina hatte keine Ahnung, aber jetzt war es an der Zeit, in Aktion zu treten.
Ein Schritt nach dem anderen. Ein Problem nach dem anderen. Wenn sie alles Augenblick für Augenblick abarbeitete, hatte sie vielleicht eine Chance zu überleben.
Das war die Lektion, die sie auf dieser Jacht gelernt hatte. Das war die Lektion, an die sie sich halten musste.
»Warnung.« Der Tonfall des Computers hatte an Strenge zugenommen. »Sie müssen …«
Ekaterina drückte auf den Knopf der Kommunikationsanlage und schaltete damit gleichzeitig die Computerstimme ab.
»Mayday!«, schrie sie so laut sie konnte. »Hilfe! Bitte, jemand muss mir helfen! Ich brauche die Erlaubnis für eine Notlandung auf dem Mond. Irgendjemand. Bitte! Helfen Sie mir!«
Der Computer schwieg und auch sonst erhielt sie keine Antwort. Für einen Moment fürchtete sie, sie hätte die Nachricht nicht korrekt abgeschickt.
»Hier spricht die Hafenverwaltung der Armstrongkuppel«, erklang dann eine dünne männliche Stimme. »Benennen Sie die Art des Notfalls.«
Die Art des Notfalls. Das Beste, was Ekaterina nun tun konnte, war möglichst nah an der Wahrheit zu bleiben.
»Meine Crew ist weg«, sagte sie. »Ich habe seit zwanzig Jahren kein Schiff mehr gesteuert. Ich habe es bis hierher geschafft, und ich glaube, ich kann landen, aber ich bin in großen Schwierigkeiten, und ich muss unbedingt landen.«
»Schicken Sie uns ihre Schiffskenndaten«, forderte die dünne Stimme sie auf.
»Ich kann sie nicht finden«, erwiderte Ekaterina. »Ich kann Ihnen meine geben.«
»Ohne die Schiffskenndaten wird man Sie in einem abgesperrten Teil des Hafens in Empfang nehmen.«
Was vielleicht auch sicherer für sie war. »Das ist mir egal«, sagte sie. »Ich muss nur hier weg. Ich brauche Hilfe.«
Offenbar hatte sie die richtige Menge an Panik in ihre Stimme gelegt, denn der Armstrong-Bedienstete antwortete: »Beruhigen Sie sich, Ma’am. Wir bringen Sie jetzt rein, und dann werden wir sehen, was wir tun können, um Ihnen zu helfen. Bleiben Sie einfach nur ganz ruhig. Wir werden Ihnen helfen.«
Irgendwie wirkten diese Worte beruhigend auf sie. Obwohl Ekaterina wusste, dass die Behörden ihr nicht helfen konnten. Obwohl sie wusste, dass sie noch viel mehr Hürden würde überwinden müssen.
Sie hatte einen weiteren Schritt getan. Und jeder Schritt, der sie von den Rev wegführte, war ein guter Schritt.
10
D er Aufenthaltsbereich im Keller des Armstrong City Complex wirkte an diesem Morgen noch deprimierender als sonst. Flint unterdrücke ein Gähnen, als er die Stufen hinabstieg, und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wohl wissend, dass er einen wachen und wachsamen Eindruck machen musste, wenn er die Eltern des Kindes traf.
Er hatte die ganze Nacht nicht gut geschlafen, hatte sich daran erinnert, wie es war, den maßgeblichen Leuten gegenüberzutreten – der Gesichtsausdruck der Polizistin, als sie gesagt hatte: Wir haben da so eine Sache mit Ihrer Tochter, Mr. Flint. So eine Sache. Das war eine Phrase, die ihm auf keinen Fall jemals über die Lippen kommen würde.
Wenigstens war dieses Kind am Leben, was die Dinge für die Familie in mancher Hinsicht allerdings noch schwerer machte. Mit diesen Eltern würde nicht leicht umzugehen sein.
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