Miles Flint 01 - Die Verschollenen
Sie würden glücklich sein, dass es ihrem Kind gut ging, aber sie mussten auch erfahren, dass sie es immer noch verlieren konnten.
Der diensthabende Sergeant, der die Eltern um sechs Uhr Morgens in Empfang genommen hatte, hatte ihre Identitäten bereits überprüft. Als er Flint angerufen hatte, um ihm zu sagen, dass die Eltern eingetroffen waren, hatte Flint ihn gebeten, einen Dreifach-Check durchzuführen, was bedeutete, er sollte sie nicht allein anhand von Papieren überprüfen, sondern auch den Schulterchip kontrollieren und eine Backgroundprüfung durchführen. Flint wollte so sicher wie möglich sein, dass diese Leute die waren, für die sie sich ausgaben.
Als er den Keller erreicht hatte, unterdrückte er den Wunsch, die Tür zu der Suite anzusehen, in der die Kinder untergebracht waren. Stattdessen ging er weiter zum Besprechungsraum. Zwei Beamte standen vor der Tür und nickten ihm zu. Er bat sie nicht um einen Bericht. Er wollte sich selbst ein Bild von diesen Eltern machen.
Das Treffen fand in einem großen Raum mit einem Tisch in der Mitte statt, der von Stühlen gesäumt wurde. Es gab keine Fenster, und jemand hatte eine veränderliche holografische Szenerie an der Wand auf der anderen Seite platziert, die derzeit darauf programmiert war, ein Bild der Alpen auf der Erde auszugeben.
Irgendwie kam Flint der ganze Raum beim Anblick der schneebedeckten Berggipfel kälter vor, und er schauderte schon, als er eintrat.
Eine dunkelhaarige Frau saß am Kopfende des Tischs. Ihre Finger trommelten auf die Tischplatte. Als Flint den Raum betrat, blickte sie auf. Ihr Gesicht war von Sorgen und Kummer gezeichnet, und ihre grauen Augen lagen tief in den Höhlen. Sie sah aus, als hätte sie gerade erst aufgehört zu weinen.
Hinter ihr ging ein Mann auf und ab. Er war kräftig gebaut – breite Schultern und ein muskulöser Körperbau, der auf eine sportliche Vergangenheit schließen ließ. In der Körpermitte zeigte sich ein vager Ansatz von Fett. Flint fragte sich, ob diese Leute Modifikationen scheuten, oder ob sie sich dergleichen nicht leisten konnten.
»Werden Sie uns zu unserem Sohn bringen?«, fragte die Frau mit einer Schärfe in der Stimme, die darauf hindeutete, dass sie diese Frage schon einige Male gestellt hatte.
Flint wusste, was sie empfand, ließ ihre Gefühle aber bewusst nicht an sich herankommen. Er musste unparteiisch bleiben, so unparteiisch wie er nur konnte.
»Ja, ich werde Sie zu Ennis bringen.« Flint trat einen Schritt näher. »Ich bin Miles Flint. Ich bin einer der Detectives, die für diesen Fall zuständig sind.«
Der Mann musterte ihn. »Jamal und Dylani Kanawa.«
»Ich nehme an, Sie haben einige Fragen an uns.« Mrs. Kanawa saß aufrecht da, die Schultern durchgedrückt, als würde sie sich auf weitere Verzögerungen vorbereiten.
»Nein«, erwiderte Flint. »Sie haben die Fragen des Departments bereits beantwortet. Aber ich muss Ihnen zuerst ein paar Dinge erklären.«
»Was gibt es da zu erklären?«, fragte Mrs. Kanawa. Ihr Mann legte ihr die Hand auf die Schulter, und sie presste die Lippen aufeinander, schwieg aber.
Flint fand die Geste interessant. Er hätte von einem Mann, der noch einen Moment zuvor unruhig auf und ab gegangen war, keine so kontrollierte, ruhige Haltung erwartet. Sein Blick suchte den von Mr. Kanawa.
Mr. Kanawa wandte sich ab.
Auch das fand Flint interessant. Er räusperte sich. »Ihr Sohn wurde auf einem Wygnin-Schiff gefunden. Wenn ich richtig informiert bin, wurde er erst vor kurzem aus ihrem Haus geholt. Ist das korrekt?«
»Ja«, antwortete Mr. Kanawa, dessen Hand noch immer auf der Schulter seiner Frau ruhte. Er lieferte keine weiteren Informationen, wie man es von einem Paar hätte erwarten sollen, dass daran interessiert sein müsste, den Behörden zu helfen.
»Die Wygnin behaupten, sie hätten eine gültige Vollmacht, aber wir haben bisher keine Beweise dafür gesehen.«
»Unmöglich«, sagte Mrs. Kanawa. »Weder mein Mann noch ich hatten je Kontakt zu den Wygnin. Sie können unsere Akten überprüfen.«
»Das haben wir bereits.« Flint sprach in freundlichem, sanftem Tonfall. Er wollte ihr nicht verraten, dass derartige Akten manipuliert werden konnten. »Die Gesetze der Wygnin sind ein wenig kompliziert, wenn es um Vergeltungsmaßnahmen geht. Die Wygnin neigen dazu, Kinder zur Bestrafung besonders ernster Verbrechen zu entziehen, je jünger das Kind, desto besser. Vielleicht hat ein anderes Mitglied Ihrer Familie Ärger mit den
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