Miles Flint 01 - Die Verschollenen
könnte, aber es würde ihm helfen.
Obwohl es bereits dunkel war, herrschte in der Kanzlei rege Betriebsamkeit. Gehaltsempfänger beugten sich über Schreibtische und stellten Nachforschungen für diverse Fälle an. Wandschirme zeigten Echtzeitvideos von Fällen, die nicht auf dem Mond verhandelt wurden. Der Ton war bei allen Videos abgedreht. Wollte jemand mithören, musste er seinen Link benutzen.
Dennoch vermittelte die Kanzlei einen leicht chaotischen Eindruck, kündete von Informationen, die mit Lichtgeschwindigkeit aufgenommen wurden, und es schien, als wäre die Kanzlei von Laskie, Needahl und Cardiff der wichtigste Ort im ganzen Universum.
Eine Sekretärin – ein echter Mensch und ein Zeichen für Wichtigkeit und Luxus – zeigte ihnen einen Raum, in dem Dylani und Ennis warten konnten, während Jamal mit dem Anwalt sprach. Dylani hatte Jamal begleiten wollen, da sie glaubte, sie hätte mehr Erfahrungen mit dem Rechtssystem als er.
Aber sie irrte. Er wusste zwanzigmal so viel über Recht und Gesetz, als sie je wissen würde.
Jamal wünschte, sie wäre gar nicht mitgekommen, aber sie hatte sich geweigert, im Hotel zu warten. Sie fürchtete sich davor, allein zu bleiben, auch wenn sie das niemals zugeben würde. Jamal hegte überdies den Verdacht, dass sie Angst hatte, jemand könnte kommen, um Ennis zu holen, während er fort war. Dadurch, dass sie Jamal begleitete, konnte sie wenigstens dafür sorgen, dass Ennis nicht so leicht zu finden war.
Immerhin hatte Jamal es geschafft, sie von dem Vorhaben abzubringen, gemeinsam mit ihm in das Büro des Anwalts zu gehen. Ennis Zappeligkeit war dabei recht hilfreich gewesen, ebenso wie ihr Bedürfnis, ihren Sohn in den Armen zu halten, das nicht nachgelassen hatte, seit sie ihn zurückbekommen hatten.
Die Sekretärin führte Jamal zu einem Büroraum am Ende eines langen Korridors. Die Bürotür sah aus, als wäre sie aus echtem Holz angefertigt worden, und der Teppich schien aus natürlichen Fasern von der Erde gewoben worden zu sein. Räucherwerk brannte irgendwo in der Nähe – ein würziger, unidentifizierbarer Geruch, der Jamal in der Nase kitzelte.
Die Sekretärin klopfte einmal, öffnete dann die Tür und kündigte Jamal an, als wäre er ein Höfling, der einen König vergangener Zeiten zu besuchen gedachte. Als er eintrat, erwartete Jamal fast Fanfaren zu hören, die von seiner Ankunft kündeten.
Das Büro war größer als sein ganzes Haus. Die Wände rechts und links waren verglast, und künstliches Sonnenlicht ergoss sich auf prachtvolle Grünpflanzen. Andere Pflanzen wucherten über Tischkanten oder hingen von der Decke und verliehen der Luft eine Frische, die sie nicht verdient hatte, vor allem nach dem Räucherwerk im Korridor.
Das viele Grün war so verwirrend, dass Jamal einen Moment brauchte, um den Schreibtisch zu finden und anzuvisieren. Er schien direkt aus dem Boden zu wachsen. Der Teppich, der vom Korridor hereinlief, bedeckte die Seiten des Schreibtischs. Papiere lagen auf der Tischplatte. Ihre bloße Anwesenheit kam einem grotesken Zurschaustellen von Reichtum gleich.
Jamal hatte angenommen, dieser Anwalt, den er auf Basis der begrenzten Informationen, die ihm im Hotel zur Verfügung gestanden hatten, ausgewählt hatte, würde nur ein bescheidenes Büro unterhalten, vielleicht sogar nur einen Schreibtisch im Großraumbüro einer größeren Firma. Ganz sicher hatte er nicht mit so etwas gerechnet.
Ein Mann, der eine Pumpflasche zum Benetzen der Pflanzen bei sich trug, löste sich aus dem Grün. Er war groß und schlank, seine Hautfarbe eine Mischung aus weißlich-gülden und polierter Bronze – die Art von Teint, die einfach auf jeden anziehend wirken musste. Sein Haar war so dunkel wie seine Augen, und seine Züge drückten eine falkenartige Schärfe aus, die den Gedanken nahe legte, dass er älter war, als er aussah.
»Mr. Kanawa«, sagte er Mann in sattem Bariton. »Ich bin Hakan Needahl.«
Er stellte die Pumpflasche auf den Papieren ab – eine Sorglosigkeit, die Jamal Schmerzen bereitete – und trat mit ausgestreckter Hand vor.
Jamal schüttelte ihm die Hand und bedachte ihn mit einem vorsichtigen Lächeln. »Ich fürchte, ich habe schon jetzt Ihre Zeit verschwendet, Mr. Needahl. Ich habe ganz offensichtlich nicht die Mittel, Sie zu beauftragen.«
Needahls mandelförmige Augen zogen sich ein klein wenig zusammen. Die bohrende Intelligenz in ihnen schien durch die knappe Regung noch deutlicher hervorzustechen. »Ich arbeite
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