Miles Flint 02 - Die Lautlosen
Möglichkeit angeboten haben, das Rennen zu beenden.«
Wie nett von ihnen, ihm zu gestatten, das Rennen fortzusetzen. DeRicci fragte sich, ob er eine Auszeit dafür bekommen hätte, dass er einen weniger glücklichen Konkurrenten entdeckt hatte.
»Bei diesem Marathon hat es schon früher Tote gegeben«, sagte sie.
»Das ist eines der Risiken der Teilnahme, aber es kommt nicht mehr so häufig vor wie früher«, erwiderte Chaiken, und es war unverkennbar, dass er nun auf Stellungnahmen zurückgriff, die er schon häufig geäußert hatte. »Wir haben immer noch jedes Jahr einige Verletzte, aber wir haben das System so modifiziert, dass diese Verletzungen nur selten zum Tod führen.«
»Unsere Läufer unterschreiben eine Verzichtserklärung«, erklärte der andere Mann. Er stand nach wie vor neben der Tür, beinahe, als würde er sie bewachen, damit DeRicci und van der Ketting nicht davonlaufen und die Zuschauer über den Notfall außerhalb der Kuppel informieren konnten.
DeRicci bedachte ihn mit einem Seitenblick. »Und Sie sind?«
»Jonathan Lakferd, stellvertretender Rennleiter.«
»Sie lassen sich von den Läufern von jeglicher Verantwortung im Todesfall freisprechen?«, fragte DeRicci.
»Oder im Verletzungsfall«, ergänzte Lakferd. »Wir informieren sie sehr genau über die Risiken; schließlich wollen wir nicht, dass irgendjemand davon überrascht wird.«
»Und wir wollen natürlich auch keine schlechte Publicity«, fügte Chaiken hinzu. »Wir würden es begrüßen, wenn Sie nichts über diese Sache verlautbaren …«
»Wie wir diese Angelegenheit behandeln, bestimmt das Department«, unterbrach DeRicci ihn. »Wenn der Fall den früheren Todesfällen entspricht, die ich im Zuge des Marathons untersucht habe und die ganz einfach durch das Rennen selbst verursacht worden sind, können Sie davon ausgehen, dass das Department kein Wort darüber verlieren wird.«
Es fiel ihr schwer, den Sarkasmus aus ihrer Stimme fernzuhalten. Sie hasste es, eine Aufgabe übertragen zu bekommen, nur damit das Department ihre Arbeit schließlich aus politischen Gründen ignorierte. Und der Marathon war definitiv politisch.
Chaiken lächelte ihr zu, als wäre seine größte Sorge nicht etwa die Leiche auf der Strecke, sondern die schlechte Publicity, die so eine Leiche hervorrufen konnte.
»Wo ist dieser Mr.. Coburn jetzt?«, fragte DeRicci.
»In einem der Gebäude ganz in der Nähe«, sagte Lakferd. »Wollen Sie ihn sprechen?«
»Nicht jetzt«, antwortete DeRicci. »Wie hat er Sie alarmiert?«
»Mit seinem Panikknopf«, erklärte Chaiken. »Jeder Läufer …«
»Ich bin mit dem System vertraut.« Stirnrunzelnd musterte DeRicci die Wände. »Der Läufer, der gestorben ist, hat keinen Kontakt aufgenommen?«
»Nein«, bestätigte Lakferd.
»Ist das nicht seltsam?«, fragte DeRicci. »Würde jemand, der ein ernstes Problem hat, nicht auf jeden Fall auf den Knopfdrücken?«
»Wenn sie Gelegenheit gehabt hätte«, sagte Chaiken. »Manchmal geschieht alles einfach zu schnell. Vielleicht hat die Situation es nicht zugelassen.«
»Sie?«, fragte DeRicci. »Sie wissen, wer das Opfer ist?«
Chaiken nickte. »Eine unserer erfahreneren Teilnehmerinnen und eine ehemalige Siegerin. Ihr Name ist Jane Zweig. Sie leitet Extreme Enterprises. Vermutlich haben Sie schon davon gehört. ›Extremsport für den Abenteuerurlauber.‹ Das ist ihr Slogan.«
DeRicci hatte in der Tat von dem Laden gehört. Und sie hatte ihre Werbefilme gesehen – glückliche schlanke Menschen mit zu viel Zeit, die in fahlroter Flüssigkeit schwammen und graue spitze Felsen an zweifelsfrei außerirdischen Orten hinaufkletterten.
»Ich finde es schon ein wenig seltsam«, bemerkte sie, »dass jemand, der auf Extremsport spezialisiert ist, auf Ihrem Kurs zu Tode kommt. Ich dachte, der Mondmarathon hätte sich schon vor mehr als hundert Jahren zu einer Veranstaltung gewandelt, die eher dem Breitensport zuzuordnen wäre. Extremsportler geben sich damit doch kaum ab.«
Van der Ketting verfolgte das Geschehen mit Interesse. Er hatte erkannt, dass DeRicci ihn aus dem Weg haben wollte, und seither nicht versucht, sich selbst am Gespräch zu beteiligen.
»Das ist immer noch ein anspruchsvolles Rennen.« Lakferds hagerer Leib schien in sich zusammenzuschrumpfen. »Wir haben jedes Jahr einige Extremsportler dabei. Jane Zweig hat teilgenommen, wann immer sie konnte.«
»Warum?«, fragte DeRicci. »Ich hatte angenommen, Extremsportler würden in diesem Rennen keine
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