Miles Flint 02 - Die Lautlosen
nachprüfen?«
Diese Frage sollte rhetorischer Natur sein und einen aggressiven Unterton haben; aber van der Ketting stand einfach auf und kam zu ihr herüber, betastete die Links, untersuchte die Schnittstellen und berührte Teile der Synchronisationseinheit seines Handhelds.
»Ich schätze, es ist alles in Ordnung«, erklärte er, als hätte er soeben etwas Spektakuläres vollbracht.
DeRicci musterte ihn forschend und fragte sich, ob es sich wohl lohnen würde, ihm zu erzählen, dass sie das alles und noch ein bisschen mehr längst getan hatte.
Dann leuchtete der Monitor vor ihr auf. Die Bilder, die sie zuvor auf dem Handheld gesehen hatte, waren plötzlich lebensgroß, und der Darstellungswinkel wechselte ständig.
»Was für ein System benutzen die?«, fragte sie.
»Das ist eine Mischung mehrerer Systeme«, antwortete er. »Ich habe die Winkel korrigiert, und es ist mir auch gelungen, alle Informationen einzulangen. Wir können die Einstellung beliebig verändern und uns jeden aus nächster Nähe ansehen oder mehrere Personen auf einmal betrachten. Ich dachte, das wäre für den Augenblick die schnellste Lösung.«
DeRicci schob die Daumen in den Hosenbund und beobachtete die Vorgänge. Die Läufer bewegten sich auf dem Gelände, die meisten von ihnen mit der Kuppel im Hintergrund. DeRicci brauchte tatsächlich ein paar Minuten, bis ihr klar wurde, dass sie doppelt so viele Läufer sah, als sie erwartet hatte. Alles wurde von der Kuppel reflektiert, die noch immer in der Dunkelheit der Kuppelnacht ruhte.
»Wie früh hat das eigentlich angefangen?«, fragte DeRicci.
»Die Läufer sind ab sechs Uhr aufgetaucht«, antwortete er. »Das Rennen würde um acht Uhr dreißig gestartet. Diese Aufnahme stammt von etwa sieben Uhr. Das ist die erste Gelegenheit, zu der ich Zweig habe ausmachen können.«
Er deutete auf das Bild an der Wand. Eine Frau, nicht viel größer als DeRicci, stand vor dem Tisch der Organisatoren. Die Frau trug einen hellrosa Umweltanzug, der dem glich, den die Leiche getragen hatte.
Der Anzug war so attraktiv wie die Dinger nur sein konnten. Er saß hauteng, und nur deswegen konnte DeRicci ohne Zweifel erkennen, dass sie es mit einer Frau zu tun hatte. Und der Anzug schimmerte im Licht des Mondtags.
»Lassen Sie uns das vergrößern«, sagte sie.
Van der Ketting gehorchte; offenbar spielte er gern mit technischem Gerät herum. Gut zu wissen. DeRicci würde dafür sorgen, dass er eine Menge derartiger Arbeiten verrichtete. Normalerweise hielt sie die Technik eher für ein Hindernis als für eine Hilfe.
Das Bild der Frau wurde größer, bis es die ganze Wand ausfüllte. Die Sonnentönung des Helms war aktiviert, sodass sie das Gesicht der Frau nicht sehen konnten. Aber DeRicci interessierte sich gar nicht für das Gesicht der Frau.
DeRicci interessierte sich für den Anzug.
In den Falten saß Schmutz wie bei den meisten Anzügen, die schon länger im Einsatz waren. Der Schmutz war grau, wie nahezu alles draußen, und die Schmutzschicht war dick. Sie überlagerte das Rosa und dämpfte die Farbe. Und obwohl der Anzug das Licht reflektierte, tat er es nicht mit der gleichen Intensität wie der Anzug, den DeRicci an der Leiche gesehen hatte.
DeRicci stockte der Atem. »Steht fest, dass das Zweig ist?«
»Sie hat die Startnummer in der Hand«, sagte van der Ketting. »Sie musste ihre Identifikation vorlegen, um sie zu bekommen.«
Das Bild drehte sich vor DeRicci, bis die Startnummer erkennbar wurde. Die Zahl stimmte.
»Die Identifikation findet draußen statt, nicht Drinnen«, murmelte DeRicci. »Wie kommt das?«
»Oh, sie prüfen die Identität auch Drinnen. Dann kontrollieren sie noch mehrfach die Anzüge, um sicherzustellen, dass sie dem Reglement entsprechen. Aber die Startnummern bekommen die Läufer nur draußen am Tisch der Organisatoren. Auf diese Weise können sie ihre Startnummern nicht an eine andere Person weitergeben.«
DeRicci nickte. Die Organisatoren schienen wirklich an alles gedacht zu haben. »Das war eine Stunde vor Rennbeginn?«
»Anderthalb Stunden.«
»Spaziert sie nur durch die Gegend?«
»Ich habe sie für etwa fünfundvierzig Minuten aus den Augen verloren«, antwortete van der Ketting.
DeRicci nickte. Die Sache gefiel ihr ganz und gar nicht. »Zeigen Sie mir, wann sie wieder auftaucht.«
Van der Ketting ließ die Aufnahme vorlaufen, sodass die Bilder nurmehr flüchtig über die weißen Wände huschten. Bilder eines Tages, der schon beinahe vorüber war:
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