Miles Flint 03 - Die Tödlichen
empfunden.
Früher hatte er ihr das Zuhause ersetzt.
Erstaunlich, wie viel Schmerz ein Mensch wegstecken konnte, wie stark er daran glauben konnte, es wäre vorbei, nur um festzustellen, wie der Schmerz Stück für Stück zurückkehrte, wenn die Erinnerungen wieder zutage traten.
Und mit ihnen erhob sich das Verlangen nach Rache.
Vielleicht hatte Nitara das alles genauso geplant. Vielleicht hatte ihr rationelles Selbst sie nach Armstrong geführt, so tief ins Alte Universum hinein, dass ihre Erinnerungen möglicherweise nie wieder aufleben würden.
Und doch hatte ihr unbewusstes Selbst die ganze Zeit über Rachepläne geschmiedet, hatte gehofft – vielleicht sogar gebetet –, es würde eines Tages eine Chance bekommen.
Nitara konnte noch immer aufhören. Sie wusste es. Aber sie wollte es nicht.
Und das erstaunte sie am meisten.
Sie stieß die Doppeltür zu der Küche auf, die sie selbst entworfen hatte. Ihre Mitarbeiter standen an den Herden. Ihr Souschef beendete gerade die Vorbereitungen für den folgenden Tag, und der Dessertkoch war bereits nach Hause gegangen.
Die beiden Chefköche bereiteten das Abendessen für die diversen Gäste im Gastraum zu. Beide Männer lächelten ihr zu, als sie die Küche betrat, doch das Lächeln verblasste schnell, als sie das Blut auf ihrem Gesicht bemerkten.
Nitara deutete vage mit der Hand auf das Blut. »Aufruhr«, sagte sie nur, und einer der Männer kam zu ihr, legte den Arm um sie und erkundigte sich, ob es ihr gut gehe.
Sie sei sicher, dass mit ihr alles in Ordnung sei, erklärte sie. Ganz bestimmt. Kein Grund zur Sorge.
»Wir müssen Sie wohl erst einmal saubermachen«, sagte der Mann zu ihr, und sie nickte. Sollten sie denken, was sie wollten. Sollten sie tun, was sie tun mussten.
Sie würden bald gehen, ebenso wie die Gäste, und sie würden nicht wissen, dass sie sich an diesem Abend zum letzten Mal ihres berühmten Restaurants erfreut hatten. So ein kleiner Traum, ein Traum, den Nitara so wichtig genommen hatte.
Aber wen interessierte es denn wirklich, ob ein Restaurant erfolgreich war oder nicht? Essen fanden die Leute auch woanders. Ein gutes Mahl war eine Freude, die nicht wiederholt werden konnte, aber ein anderes gutes Mahl konnte an die Stelle des ersten treten, und dann noch ein anderes und noch ein anderes, bis das erste gute Mahl schließlich vergessen war.
Die Gerüche veränderten sich: weniger Ingwer und Thymian, mehr Knoblauch, etwas Zwiebel und eine Rinderbrühe, die ein bisschen zu salzhaltig zu sein schien. Aber sie sagte nichts.
Auch sagte sie nichts, als jemand – einer der Kellner? – ihr das Blut von den Wangen wischte und sanft zu ihr sprach, als wäre sie ein kleines Kind.
Erstaunlich, dass all das, was sie gebraucht hatte, um zur besten Küchenchefin von ganz Armstrong aufzusteigen, auch genau das war, was sie für ihre Rache benötigte. All diese Konzessionen, die ihr erteilt worden waren, all die Kontakte, die sie hatte pflegen müssen. Jahrzehnte völliger Unbescholtenheit, die es ihr gestattet hatten, Materialien in ihrem Restaurant bereitzuhalten, die von der Regierung als gefährlich im Inneren einer Kuppel eingestuft wurden.
Entflammbare Dinge. Destruktive Dinge.
Explosive Dinge.
Nitara setzte sich an den Tisch und wartete darauf, dass ihre besten Mitarbeiter ihre letzte Schicht beendeten.
Danach würde ihre erst beginnen.
42
D er nächste Morgen zog klar und heiß herauf. Die Wetteränderungen faszinierten Flint mehr als alles andere. In der Nacht zuvor, als man ihn endlich aus dem Hangar gelassen hatte, hatte er eine leuchte Kälte bemerkt, und als er vom Hangar zu den öffentlichen Bereichen des Hafens gegangen war, hatte es sich angefühlt, als würde die Luft wie Wasser um ihn herumwirbeln, ein Gefühl, an das er sich von seiner letzten Reise zur Erde erinnerte, das er aber doch nicht ganz ernst nehmen konnte.
Vieles an diesem Ort war einfach unglaublich: die Vegetation, grün und üppig und so viel größer, als Flint sie in den Videos empfunden hatte, die er gesehen hatte; die Gerüche, Schimmel und Feuchte und etwas, das seine Ex-Frau als Frische bezeichnet hatte; die Luft, die beinahe greifbar war, als wäre sie irgendwie anders zusammengesetzt als die auf dem Mond.
Und es fiel ihm schwer, den Ozean zu begreifen. Das Blau passte zur Farbe des Himmels und schien sich in alle Ewigkeit auszudehnen. Bis er zum ersten Mal zur Erde gekommen war, hatte er nie einen endlos blauen Horizont gesehen, und
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