Miles Flint 03 - Die Tödlichen
um. Sie warf ihm einen Blick zu, aus dem der pure Hass sprach, ehe sie sich erhob und ins Foyer ging.
Dort verschwand sie aus dem Aufnahmewinkel der Kamera, und Flint wünschte, er könnte sehen, was an der Tür passierte. Dieser Teil des Systems sollte die meisten redundanten Daten hervorbringen – wenn es in Privatwohnungen zu Ärger kam, kam dieser oft durch die Vordertür; aber wer auch immer die Überwachungsvideos zerstört hatte, war offenbar auch schlau genug gewesen, die Kopien der Türaufnahmen zu finden und zu vernichten.
Carolyn drehte sich um, und die Furcht in ihren Zügen war so greifbar, dass Flint sich von Herzen wünschte, er könnte eingreifen. Ihre Lippen bewegten sich, formten Worte, so deutlich, dass Flint sie lesen konnte.
Habt ihr eine Waffe im Haus?
Ihr Vater sah schockiert aus. Er erhob sich von seinem Stuhl und griff nach ihr, aber Carolyn wich zurück. Sie hastete den Korridor hinunter, und der Richter blickte ihr hinterher, als wäre sie nur ein Traumbild gewesen.
Er drückte auf einen der Chips auf seinem Handrücken, ehe er direkt in die Kamera blickte, von der die Aufzeichnung stammte.
Wir brauchen Hilfe, sagte er, gefolgt von einem weiteren Wort. Sofort? Dringend?
Flint konnte es nicht erkennen, aber er erkannte die Dringlichkeit. Er fragte sich, was an der Tür passiert war, dass es die beiden anderen so sehr in Panik versetzt hatte.
Dann sah er es: Dr. Lahiri im Griff eines Mannes. Ihre Augen waren geweitet und nass von Tränen.
Die Hände des Richters bewegten sich fahrig, eine hilflose Geste, und er machte Anstalten, sich zum Korridor umzusehen, riss sich aber im letzten Moment zusammen.
Der Mann befand sich noch nicht ganz im Aufnahmewinkel der Kamera, seine Arme aber schon. Und sie sahen nicht wie normale Arme aus. Sie wirkten irgendwie zu lang, und sie schlossen sich fest um die Leibesmitte der Ärztin.
Als sie an der Kamera vorbeigeschoben wurde, konnte Flint den Rücken des Mannes sehen.
Richter Lahiri sagte etwas, doch seine Worte verloren sich in einem unscharfen Abschnitt der Aufnahme. Seine Hände bewegten sich wieder, die Geste eines Mannes, der sich wünschte, etwas Schlimmes möge bald zu Ende sein. Er gab Versprechungen ab, bettelte, versuchte, Zeit zu schinden.
Nur einmal sah er sich zu seinem Sicherheitssystem um, aber einmal reichte vollkommen. Der Mann folgte seinem Blick, und sein Kopf zuckte, eine scharfe Bewegung, die verriet, dass er verstanden hatte.
Vielleicht hatte er auch etwas gesagt, denn plötzlich sah der Richter noch verängstigter aus denn zuvor.
Dr. Lahiris Körper verschwand vollständig hinter dem des Mannes. Er war groß und bewegte sich mit einer Entschlossenheit, die Flint eine Gänsehaut über den Leib jagte. Dieser Mann hatte dergleichen schon früher getan und offenbar oft genug, um keine normale Reaktion auf die Angst zu zeigen, die ihm entgegenschlug. Weder erfreute noch störte er sich an ihr; allenfalls machte sie ihn noch ruhiger.
Richter Lahiri trat vor den Mann und wollte nach seiner Frau greifen. Der Mann schüttelte den Kopf, und der Richter hielt mitten in der Bewegung inne. Auch sein Körper war nun teilweise hinter dem des Mannes verschwunden.
Flint wünschte, er könnte sich die Bilder der anderen Kameras ansehen, wünschte, er hätte eine Tonaufzeichnung, die ihm einen Hinweis darauf liefern könnte, was da los war.
Die Kamera schwenkte ein wenig zurück – offensichtlich war das Sicherheitssystem der Lahiris wirklich gut –, sodass der Körper des Mannes nicht mehr die ganze Sicht blockierte.
Dennoch konnte Flint nicht viel mehr sehen als zuvor – nur die Beine des Mannes, dazwischen die kaum sichtbaren Beine von Dr. Lahiri und die immer noch zappelnden Hände des Richters.
Dann hörten die Hände auf zu zappeln. Der Richter schaute in den Korridor, und Kummer legte sich auf seine Züge.
Er hatte nicht hinsehen wollen. Die Bewegung war unwillkürlich erfolgt, und sie würde ihn und seine Familie nun vermutlich das Leben kosten.
In diesem Moment wirbelte der Mann herum und stieß Dr. Lahiri in Richtung Korridor. Sie fing den Schuss ab, der für ihn gedacht war.
Der Richter schrie, und das Entsetzen verzerrte seine Züge bis zur Unkenntlichkeit. Er fiel neben seiner Frau auf die Knie, berührte ihr Gesicht, ihre Wunde, ihre Schultern.
Aber es war zu spät. Sie war offensichtlich tot. Ihre Augen waren offen, die Arme zurückgerissen, ähnlich wie zu dem Zeitpunkt, als die Leichen gefunden worden
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