Miles Flint 04 - Das Marsgrab
anzusehen, das sie um die Leichen herum aus dem Sand geholt hatte, und dann die drei Toten selbst zu untersuchen. Sie hatte eine Ahnung, eine beinahe fundierte Vermutung, dass diese Leichen schon lange hier gelegen hatten, tief im Sand, lange bevor jemand Jørgen über ihnen verscharrt hatte. Aber das würde sie erst genau wissen, wenn sie ihre Arbeit getan hätte, und zwar mit akribischer Genauigkeit.
Hinter sich hörte sie ein leises Geräusch; erschrocken fuhr sie herum. Batson kam auf sie zu, und seine Stiefel knirschten leise auf dem Sand.
»Was haben wir hier?«, fragte er und reichte ihr eine Flasche Wasser.
Sie nahm sie, öffnete sie und trank. Das Wasser war warm, aber löschte ihren Durst. Es belebte sie sogar. Sie trank, bis der letzte Tropfen ihre Kehle hinunterrann. Dann gab sie Batson die Flasche zurück.
»Was wir da haben, ist eine Katastrophe«, stellte sie fest.
»Das weiß ich selbst«, entgegnete er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht nur in Hinblick auf die Disty oder im Sinne einer Groß-Großkontamination. Das alles waren einmal Menschen, Petros, und sie verdienen, dass die Umstände ihres Todes angemessen untersucht werden.«
»Vielleicht ist das einer dieser – wie nennt man das auf der Erde? Friedhöfe. Vielleicht ist eine Gruppe früher Siedler für all die Leichenansammlung hier verantwortlich.« Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und blickte auf das Leichenfeld hinunter.
»Ich wünschte, es wäre nichts weiter als ein Friedhof«, sagteScott-Olson. »Aber wir Menschen haben hier auf dem Mars nie Leichen begraben. Es hätte gegen jeden Brauch verstoßen. Das überkuppelte Land war zu wertvoll, und niemand wollte die Toten außerhalb einer Kuppel einfach ablegen. Davon mal ganz abgesehen: Wäre das hier ein Friedhof, dann wären die Leichen eingesargt, und jede für sich läge in einer Kiste, sorgfältig begraben und vermutlich mit irgendwelchen Steinen oder Metallplaketten markiert. Man hat hier doch keine Spuren derartiger Kennzeichnungen gefunden, oder doch?«
Batson zuckte mit den Schulter. »Ich werde mich erkundigen.«
»Ich bezweifle, dass Sie hier dergleichen finden werden. Das Fehlen von Särgen verrät mir, dass hier etwas Schlimmes passiert ist – oder zumindest hier vergraben wurde.«
Batson seufzte. »Gibt es eine Verbindung zu Jørgen?«
»Ich weiß es nicht.« Scott-Olson streifte einen ihrer Handschuhe ab und rieb sich das Gesicht. Ihre Haut fühlte sich an wie Schmirgelpapier. Vermutlich rieb sie sich gerade den Sand in die Poren. »Und möglicherweise werde ich das auch nie herausfinden. Wer immer Jørgen ermordet hat, konnte von dem hier gewusst haben. Oder auch nicht. Ich bin nicht mal sicher, wie lange diese Leichen schon hier liegen.«
»Können Sie mir eine Schätzung liefern?«
»Keine akkurate.«
»Dann geben Sie mir eben eine nicht akkurate!«
Sie starrte die freigelegten Leichen an. Zwei Männer und eine Frau, die Gesichter zerfurcht, die Münder offen, die Zähne so orange wie Jørgens Gebeine.
»Sie liegen länger hier als Jørgen, denke ich«, meinte Scott-Olson dann, »allein schon wegen der Tiefe, in der sie begraben wurden.«
»Das Aussehen der Leichen verrät Ihnen dazu nichts?«
Sie blickte zu ihm hinauf. Er starrte immer noch das Leichenfeld an. »Das ist nicht wie bei einer frischen Leiche, Petros. Ich kann Ihnen keine Schätzung liefern, die bis auf einige Stunden genau ist. Vielleicht kann ich den Zeitpunkt nicht einmal auf ein Jahrzehnt genau ermitteln.«
»Dann könnten die also schon hier gewesen sein, als die Kolonie gegründet wurde?«, fragte er.
»Möglich ist es. Oder sie sind seit fünfzig Jahren hier. Oder seit hundert. Ich weiß es wirklich nicht.« Sie streifte den anderen Handschuh ab, griff in ihre Hemdtasche und zog ein Reinigungstuch hervor. Sie drückte auf den Feuchtigkeitsspenderchip an der Seite, fühlte, wie sich die Reinigungsflüssigkeit über die Fasern des Gewebes ausbreitete, und wischte sich das Gesicht ab. Das Tuch war kühl und roch vage nach Seife, aber sie konnte an Batsons Gesichtsausdruck ablesen, dass sie jetzt statt Sand lediglich orangefarbenen Schlamm auf ihrem Gesicht verrieb.
Er griff zu seiner Taschen-Ausrüstung und zog weitere Tücher hervor. »Lassen Sie mich das machen!«, sagte er und ging neben ihr in die Hocke.
Er reinigte ihr Gesicht, als wäre sie ein Kind, und während er rieb und wischte, dachte sie, dass sie nun endlich begriffen hatte, warum Babys jammerten und
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