Miles Flint 04 - Das Marsgrab
hätten in einem früheren Leben Freunde gewesen sein können, Kollegen, oder vielleicht war sie selbst eine Untergetauchte. Aber er sagte nichts. Er wollte Nyquists Theorie hören.
»Dann haben wir einen Disty-Vergeltungsmord im Büro einer Schlepper-Organisation. Wenn ich richtig geraten habe, ist das eine Botschaft, die besagt, dass Leute, die versuchen zu verschwinden – oder verschwinden und sich dabei erwischen lassen –, dieses Schicksal verdient haben. Denken Sie nicht auch?«
»Ich habe den Tatort nicht gesehen«, erwiderte Flint.
»Bereits alles eingetütet«, sagte Nyquist. »Die Techniker sind schon durch, die Leiche wird gerade untersucht, und wir forschen nach, ob es irgendwelche nahen Verwandten gibt. Wissen Sie zufällig, ob es welche gibt?«
So eine menschliche Frage, eine, die die meisten Leute beantwortet hätten. Aber Flint behielt seine Strategie des Schweigens bei.
Nyquist zog die Brauen hoch und lächelte wieder, aber dieses Mal war das Lächeln echt. »Wissen Sie, als ich Ihre Datensätze durchgesehen habe, ist mir aufgefallen, dass Sie der Partner von Noelle DeRicci waren.«
»Sie ist gut«, sagte Flint.
»Das ist sie.« Nyquist sah sich zu der Tasche um, die verloren auf dem Ständer ruhte, als wolle er sagen, Costard wäre auch gut gewesen. »Mir ist aber auch aufgefallen, dass Sie sich bei einem der neueren Fälle von Noelle geweigert haben, mit ihr zusammenzuarbeiten. Sie waren sogar ein Verdächtiger in diesem Fall.«
Einer, der von jeglichem Verdacht hatte freigesprochen werden müssen. Flint wusste das sehr gut. Und er war klug genug, sich nicht in die Defensive treiben zu lassen.
»Man sollte meinen, Sie würden gern mit Ihrer ehemaligen Partnerin arbeiten.«
»Sollte man«, sagte Flint.
»Und trotzdem …« Nyquist schüttelte den Kopf. »Waren Sie immer schon so unkooperativ, oder ist das auch ein Teil Ihres neuen Jobs?«
Es schien an der Zeit, die Kontrolle über das Gespräch zu übernehmen. »Sie wollten, dass ich hier heraufkomme«, sagte Flint. »Sie haben mir erzählt, Aisha Costard sei tot, ein Umstand, den ich zutiefst bedauere. Aber ich werde hier nicht länger herumstehen. Ich bin ihr begegnet, ich habe mich mit ihr unterhalten, ich bin gekommen, um sie zu sehen, und das ist alles, was Sie wissen müssen.«
Nyquists spielerisches Lächeln verblasste. »Was ich wissen muss, entscheide ich. Warum wollten Sie sie sehen?«
»Um ihr eine Frage zu stellen«, sagte Flint.
»Die lautete?«
»Sie war persönlicher Natur«, erwiderte Flint. »Und bedauerlicherweise wird Costard sie nun nicht mehr beantworten können.«
»Vielleicht können wir helfen?«
»Die Polizei hilft keinem Lokalisierungsspezialisten«, stellte Flint richtig. »Die Strategie sollten Sie besser bei jemandem anwenden, der ein bisschen naiver ist als ich.«
»Und Sie sollten vielleicht höflicher sein«, entgegnete Nyquist. »Sie könnten immerhin ein Verdächtiger sein, wissen Sie?«
»Im Fall eines Disty-Vergeltungsmords? Das glaube ich kaum«, sagte Flint. »Es sei denn, es war gar kein Vergeltungsmord.«
»Das habe nicht ich gesagt.« Nyquist wandte sich ab.
»Aber Sie ermitteln.«
»Sie kennen die Routine. Die Fakten müssen bestätigt werden, ehe ich den Fall abschließen kann.«
»Gelten Sie innerhalb des Departments als derart unwichtig?«, fragte Flint. »Mir scheint, ein erfahrener Ermittler sollte sich nicht mit Routinefällen abgeben müssen.«
Vage war Flint, als verspanne sich Nyquists Rücken. Endlich hatte Flint gegen ihn punkten können.
»Es gibt ein paar offene Fragen in diesem Fall«, sagte Nyquist.
»Die Schlepper-Organisation?«, fragte Flint.
»Die Schlamperei.«
Flint konnte nicht verifizieren, ob Nyquist diese Information versehentlich oder mit voller Absicht preisgegeben hatte.
»Die Disty sind nicht schlampig«, bemerkte Flint. »Das ist ein Ritual.«
»Sehen Sie, das dachte ich auch«, entgegnete Nyquist. »Aber Andrea Gumiela – Sie erinnern sich doch an sie? Der Chief of Detectives? –, also sie scheint zu glauben, dass manche der Disty hier auf dem Mond nicht so gut ausgebildet seien wie ihre marsianischen Vettern. Darum meint sie, sie wären vielleicht nur ein bisschen nachlässig gewesen.«
»Mir ist so etwas noch nie begegnet«, sagte Flint, nachdem er beschlossen hatte, dass er so viel einräumen konnte.
»Mir auch nicht. Folglich frage ich mich, warum irgendjemand einen Disty-Vergeltungsmord nachahmen sollte. Irgendeine Theorie?«
Flint
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