Miles Flint 05 - Paloma
geführt.
DeRicci ertappte sich bei der stummen Frage, ob sie nicht wegen irgendeiner fehlgeleiteten Loyalität gegenüber ihrem Büro keinen Kontakt zu Flint aufgenommen hatte, sondern weil sie tatsächlich glaubte, er könnte es getan haben.
»Nein«, sagte sie. »Ich habe bewusst jeden Kontakt vermieden, solange das alles nicht aufgeklärt ist.«
»Denken Sie, er hat es getan?«, fragte Nyquist.
»Sie sind derjenige, der über sämtliche Informationen verfügt«, sagte DeRicci. »Ich weiß nur, was über die sicheren Links eingetrudelt ist.«
Und außerdem, was an Kleinigkeiten durch die Medien gegangen war, obwohl sie den Eindruck hatte, dass der übliche Sendewahn nicht stattgefunden hatte. Die Reporter waren irritiert. Sie konnten das Hafengebäude nicht betreten, und nur wenige Leute hatten es verlassen.
»Wissen Sie, wie ich ihn finden kann?« Nyquist schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Vielleicht war er es auch leid, in die Kamera zu blicken, oder er war möglicherweise doch schlimmer verletzt, als er dachte.
DeRicci war klug genug, kein Wort darüber zu verlieren. Sie hätte es übelgenommen, hätte ihr jemand erklärt, sie funktioniere nicht richtig, während sie an einem Fall wie diesem arbeitete.
»Flint ist, wenn er nicht gerade an einem Fall arbeitet, ein Gewohnheitstier«, sagte DeRicci, überrascht, diese Worte über ihre Lippen kommen zu hören. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es ihr so leicht fallen würde, ihn zu verraten. »Sie können ihn in seinem Büro oder auf seiner Jacht finden. Er schläft ungefähr sechs Stunden in seiner Wohnung, darüber hinaus hält er sich dort nicht auf. Er ist gern in dem Sandwichladen hinter seinem Büro oder in der Brownie Bar. Manchmal benutzt er öffentliche Links für seine Nachforschungen, oder er geht in die Hauptbibliothek der Universität von Armstrong.«
»Und wenn er an einem Fall arbeitet?«, hakte Nyquist nach.
DeRicci schüttelte den Kopf. »Kommt auf den Fall an. Wenn er ihn vom Mond wegführt, dann geht er. Er ist dafür bekannt, ziemlich viel Einsatz zu zeigen, wenn es darum geht, Informationen einzuholen.«
»Einsatz im körperlichen Sinne oder im Hinblick darauf, die Gesetze zu beugen?«
Beinahe hätte DeRicci beides gesagt, doch sie verkniff sich die Bemerkung. Nicht Flint zuliebe, sondern wegen des sonderbaren Gefühls, sich selbst schützen zu müssen. Sie hegte den Verdacht, dass diese ganze Angelegenheit erst noch viel schlimmer werden würde, ehe irgendetwas besser werden konnte.
»Im körperlichen Sinne – er legt weite Strecken zurück«, sagte sie.
»Das hat aber lange gedauert«, bemerkte Nyquist, und nun endlich sah er ihr in die Augen … oder was auf der anderen Seite der Links ihre Augen darstellte.
»Ja, das hat es wohl«, sagte DeRicci.
»Sie denken, er hat es getan.« Das war keine Frage. Nyquist hatte ein unheimliches Gespür für sie, ein Punkt, der ihr mehr Kummer hätte bereiten müssen, als sie tatsächlich verspürte.
»Ich weiß nicht genug darüber«, sagte DeRicci.
»Aber Sie halten ihn durchaus für fähig«, gab Nyquist zurück.
»Flint und Paloma haben sich nahegestanden«, sagte DeRicci. »Er reagiert nicht sonderlich gut auf den Tod von Menschen, die er geliebt hat.«
Da war es. Die Sache, die sie beschäftigt hatte. Sie hatte ihn nach dem Tod seiner Tochter jahrelang regelmäßig gesehen, und er hatte auf sie nie gewirkt, als wäre er wirklich ganz bei Sinnen, wenn dieses Thema zur Sprache kam.
»Sie sind der Ansicht, er hat Paloma geliebt?«, bohrte Nyquist.
»Das hat er«, sagte DeRicci. »Aber es war mehr als das. Er hat sie auch bewundert. Sie stellte für ihn ein Ideal dar. Er hat geglaubt, sich nie mit ihr messen zu können.«
»Sie war Lokalisierungsspezialistin«, sagte Nyquist, als habe er nicht verstanden.
DeRicci nickte. »Flint sieht darin einen ehrenwerten Beruf.«
Nyquist runzelte die Stirn. »Und Sie?«
Sie hatte es ähnlich gesehen, als Flint die Polizei verlassen hatte. Während des folgenden Jahres hatte sie sogar darüber nachgedacht, selbst als Lokalisierungsspezialistin zu arbeiten. Auf den eigenen Beinen zu stehen, eigene Regeln zu erlassen, zu entscheiden, welche dieser Regeln sie befolgen wollte und welche sie für weniger ehrenwert hielt, am Ende hatte sie aber doch festgestellt, dass sie feste Strukturen in ihrem Leben brauchte.
Sie war nicht klug genug zu entscheiden, welche Gesetze gerecht waren und welche nicht. So klug war sie einfach
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