Miles Flint 05 - Paloma
Gerichtsbeamter«, sagte Wagner lächelnd. »Ich komme überallhin.«
»Mit der Unterstützung des passenden Richters«, sagte Nyquist und ließ zu, dass sich die Erbitterung, die er empfand, auf seine Stimme niederschlug. Er hasste es, dass Leute wie Wagner das System manipulierten. Die Art, wie sich die ganze Erdenallianz um Macht und Geld drehte, statt Respekt vor dem menschlichen Leben zu zeigen, kam ihm schon vor wie eine Krankheit.
Der Aufstieg der Kapitalgesellschaften, so hatte Nyquists alter Geschichtsprofessor einst gesagt, war das Ende des Erbarmens im Rechtssystem.
Falls das Rechtssystem je Erbarmen gekannt hatte. Nyquist hatte die Geschichte der Erde ausgiebig genug studiert, um zu wissen, dass das Rechtssystem von einer menschlichen Gesellschaft zur anderen variiert und häufig kein Erbarmen für irgendjemanden gekannt hatte.
Aber er stellte sich gern eine Zeit vor, in der es nicht korrumpierbar gewesen war, in der Richter berühmten Anwälten nicht einfach so Türen geöffnet hatten, in der es keine Verschwindedienste gegeben hatte, in der Menschen höhere Priorität als Außerirdische genossen hatten.
Er staunte über sich selbst. Er hatte geglaubt, der Job hätte ihm längst jeglichen Idealismus ausgetrieben, und nun konnte er kaum fassen, dass dem nicht so war.
»Ein Mann muss jeden Vorteil nutzen«, sagte Wagner achselzuckend und reagierte damit auf Nyquists Verbitterung, als wäre sie ihm gar nicht aufgefallen.
»Sie meinen, er muss sich die Vorteile verschaffen.«
Wagner lächelte, aber dieses Mal funkelten seine Augen nicht. Was seine Miene vage erschreckend wirken ließ. »Ein Mann tut, was er tun muss, um Ergebnisse zu erzielen.«
Nyquist gefiel es nicht sonderlich, als »Ergebnis« bezeichnet zu werden, aber er stritt sich auch nicht länger mit dem Mann herum. Stattdessen führte er Wagner in das Büro, das er zuvor benutzt hatte. Aus irgendeinem Grund wollte er den Mann nach wie vor nicht in der Nähe seines eigenen Dienstzimmers haben.
Nyquist schob Wagner einen Stuhl hin und wartete, bis dieser sich gesetzt hatte, ehe er auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz nahm. Und noch immer, obwohl der Schreibtisch zwischen ihnen war, fühlte sich Nyquist, als wäre er irgendwie im Nachteil. Wagner wollte etwas, und er wollte es von Nyquist.
Nyquist war nicht sicher, ob eine unverblümte Vorgehensweise angemessen war, oder ob er einen Tanz um den heißen Brei veranstalten sollte.
Schließlich überlegte er sich, dass Wagner vermutlich besser tanzen konnte als er, und beschloss, den unverblümten Weg einzuschlagen.
»Sie scheinen zu glauben, dass hier eine kritische Situation vorliegt«, sagte Nyquist. »Ich habe das Gefühl, dass es dabei um Ihre Interessen geht, nicht um die Ihrer Mutter. Also sagen Sie mir, was Sie von mir wollen.«
Wagner zog die Brauen hoch, ein Ausdruck, der einerseits theatralisch wirkte, andererseits auch ein Gefühl der Geringschätzung vermittelte, der aber, wie seine anderen Mienen, durchaus wirkungsvoll war. »Springen Sie so mit allen Kindern um, die um einen ermordeten Elternteil trauern?«
Dieser Kommentar hätte Nyquist vielleicht beschämt, wäre er noch ein junger Polizist gewesen. Aber er hatte genug Elend gesehen, um zu wissen, dass viele Kinder nicht trauerten, wenn ihre Eltern starben. Und bisher hatte Wagner kein Anzeichen von Trauer gezeigt.
Nyquist war aber auch klug genug, sich nicht dazu zu äußern. Er mochte seine Arbeit zu sehr, als dass er Wagner irgendetwas potentiell Gefährliches in die Hand gegeben hätte.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er und ahmte dabei Wagners aalglatten Tonfall nach. »Das war unsensibel. Es ist nur so, dass Zeit von entscheidender Bedeutung ist, und daher muss ich darauf dringen, dass wir zum Punkt kommen.«
»Sie denken also nicht, dass ich etwas über den Tod meiner Mutter wissen dürfte?«
Nyquist unterdrückte einen Seufzer. Durch den Verzicht auf das Tanzen hatte er Wagner die Kontrolle über den Verlauf des Gesprächs überlassen. Ein Vorteil, den Wagner nutzen würde, so gut er konnte, gleich, was es kostete.
»Ich denke, Sie haben uns bereits eine wertvolle Information geliefert. Alle Informationen über den Namenswechsel wurden unter Lucianna Stuart gespeichert, nicht unter Paloma. Indem Sie uns den Familiennamen verraten haben, haben wir die Möglichkeit, das Geschehene bekanntzugeben, was uns helfen könnte, weitere Informationen zu sammeln. Sie haben uns bereits geholfen, indem Sie
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