Miles Flint 05 - Paloma
mir zahllose Stunden Arbeit erspart haben. Das weiß ich zu schätzen. Jetzt möchte ich wissen, was Sie hierhergeführt hat, obwohl sie uns die Information auch über die Links hätten zukommen lassen können.«
Der letzte Satz war der, auf den es ankam. Wagner begriff und nickte.
»Meine Eltern haben sich entfremdet«, sagte er.
Entfremdet, aber kein Wort von Scheidung, was Nyquist durchaus interessant fand. Da beider Namen seinerzeit aktuell gewesen waren, war schwer zu sagen, ob sie offiziell verheiratet gewesen waren oder ob sie nur eine Partnerschaft nach Maßgabe des Gesetzes eingegangen waren.
Wie auch immer, die Ermittlungen waren soeben noch schwieriger geworden, weil Paloma ausgerechnet mit einem der genialsten Köpfe seiner Generation auf juristischem Gebiet liiert gewesen war.
»Meine Mutter hat viele Akten, die ihre Klienten betrafen, mitgenommen«, sagte Wagner.
»Wann?«, fragte Nyquist.
Wagner seufzte. Offensichtlich wollte er in diesem Punkt nicht ins Detail gehen. »Nachdem mein Bruder geboren war, haben sich meine Eltern getrennt. Meine Mutter hat ihre Akten genommen und ist gegangen. Sie hat ihren Namen geändert. Sie hat eine neue Laufbahn eingeschlagen, die sie, in neuer Position, skurrilerweise zurück in unsere Kanzlei geführt hat. Aber wir haben diese Akten nie zurückerhalten. Und als meine Eltern sich dann vollkommen entfremdet hatten, hat meine Mutter ihr eigenes Geschäft gegründet und die verbliebenen Akten aus ihrer Arbeit mit uns auch noch mitgenommen.«
»Sie wollen die Akten zurückhaben«, sagte Nyquist, baff über Wagners kaltes Auftreten.
»Natürlich will ich das«, sagte Wagner. »Aber das ist nicht, worauf es mir in erster Linie ankommt. Meine Mutter kannte viele Geheimnisse. Und sie hat sich in dieser Hinsicht gern zu Anspielungen verleiten lassen.«
Erpressung?, überlegte Nyquist, fragte aber nicht. Noch nicht.
»Wenn Sie glauben, dass Wissen Macht ist, dann sollten Sie wissen, dass meine Mutter eine der mächtigsten Personen auf dem Mond war.«
Wieder rann ein Schauer über Nyquists Rücken. Wenn sie derartige Informationen besessen hatte – Informationen, die ihr große persönliche Macht einräumten –, dann lag es nahe, dass sie auch eine Menge Feinde gehabt hatte.
»Sie wollen ihre Macht«, sagte Nyquist.
Ärger blitzte in Wagners Augen auf, spiegelte sich aber nicht in seinen Zügen wider. Nyquist hatte den Verdacht, dass dies die erste echte Gefühlsregung war, die er von Wagner zu sehen bekommen hatte, seit das Gespräch begonnen hatte.
»Ich bin überzeugt, diese Art Macht hätten wir alle gern«, sagte Wagner. »Aber ich dachte, dass der Mörder meiner Mutter vielleicht in diesen Akten zu finden ist.«
»Sie denken also, jemand hätte einen Grund gehabt, sie so sehr zu hassen? Jemand, mit dem sie zusammengearbeitet hat?«, hakte Nyquist nach.
Wagners Züge glätteten sich vollständig, reflektierten nicht mehr den Hauch einer Emotion. »Wir alle haben sie so sehr gehasst, Detective. Jeder, der sie kannte.«
»Auch Miles Flint?«, fragte Nyquist.
Wagner zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Aber ich nehme an, er ist genauso gewissenlos, wie meine Mutter es gewesen ist. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der imstande war, sie zu manipulieren. Aber vielleicht war sie ja auch an einem jungen, exotisch aussehenden Liebhaber interessiert. Ich weiß es nicht, und ich möchte nicht darüber spekulieren. Würden Sie gern Spekulationen über Ihre Mutter und deren Liebhaber anstellen?«
Nyquist bemühte sich, sich von der Vorstellung nicht berühren zu lassen, was ihm jedoch für einen Moment nicht ganz gelang. Seine Mutter lebte immer noch in dem Haus, in dem er aufgewachsen war, nicht weit vom Zentrum von Glenn Station entfernt, und soweit er wusste, hatte sie seit dem Tod seines Vaters keinen Liebhaber gehabt.
Andererseits hatte Nyquist sie nie danach gefragt. Wie Wagner gesagt hatte: Er wollte es gar nicht wissen.
»Ich dachte, die Beziehung zwischen Flint und Ihrer Mutter wäre rein beruflicher Natur gewesen«, sagte Nyquist.
»Und warum erbt er dann alles?«, fragte Wagner.
»Sie haben sich das Testament angesehen?«, hakte Nyquist nach.
»Natürlich habe ich das. Die rechtlichen Aspekte sind meist das Letzte, worum sich die Leute kümmern, sie sollten aber an erster Stelle stehen.«
Ganz besonders dann, wenn ein großes Erbe zu erwarten war. Was Nyquist natürlich auch nicht aussprach. Stattdessen fragte er: »Sie sind
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