Miles Flint 05 - Paloma
musste.
Endlich informierte ihn die Assistentin, dass er nun das Hauptbüro betreten dürfe. Er dankte ihr, erhob sich und schüttelte sich innerlich.
DeRicci hatte deutlich gemacht, dass sie ihn so schnell wie möglich sprechen wollte. Sie hatte ihm sogar einen Zeitpunkt vorgegeben, zu dem er nicht wie erwartet hatte erscheinen können.
Und dann hatte sie in beinahe eine Stunde warten lassen.
Sofort schien seine Bedeutung zu verändern, je höher eine Person im Machtgefüge kletterte.
Die Tür zu ihrem Büro glitt auf, und er trat ein. DeRicci stand in der Nähe der deckenhohen Fenster auf der anderen Seite und blickte auf genau den Ausblick, über den er gerade nachgedacht hatte. Ein Logenplatz vor einem Katastrophenschauplatz. Wie er das gehasst hätte.
In dem Raum roch es nach Kaffee und Grünpflanzen, Gerüche, die man außerhalb der wohlhabenderen Viertel der Kuppel kaum fand. DeRicci trug ein Kostüm, das ihr auf den muskulösen Leib geschneidert schien. Mit ihrem lockigen dunklen Haar und den leuchtenden, intelligent blickenden Augen war sie keine schöne Frau, aber eine beeindruckende.
Er hatte sich von Anfang an von ihr angezogen gefühlt, eine Empfindung, die ihn stets nervös machte. Er hatte zu oft erlebt, dass Kollegen eine Situation aufgrund solcher Gefühle fehlinterpretiert hatten.
Er wollte nie einer von ihnen werden.
»Detective«, sagte DeRicci, als sie sich umdrehte. Ihre Miene war weich, warm, aber irgendwie auch distanziert.
An diesen Ausdruck erinnerte er sich nicht, doch er erinnerte sich, dass ihre letzte Begegnung hölzern ausgefallen war, dass er geflüchtet war, weil er das Gefühl hatte, nicht hierherzugehören.
Ihr Büro hatte sich inzwischen verändert. Die alte Innenausstattung hatte aus durchsichtigen Möbeln bestanden, die sich kaum von dem weißen Teppich abgehoben hatten. Nur die Pflanzen auf den Möbeln hatten ihnen Gestalt verliehen.
Nun waren nicht mehr so viele Pflanzen da, aber die wirkten kräftiger, und das Mobiliar sah aus, als bestünde es aus Antiquitäten von der Erde. Massenweise Holz, massenweise Polster.
Solide. Kraftvoll. Wie DeRicci selbst.
»Chief«, sagte Nyquist, als er mit ausgestreckter Hand auf sie zuging.
Sie ergriff die Hand, schüttelte sie sanft – etwas, das sie früher nicht getan hatte (früher hatte sie ihm stets beinahe die Finger mit ihrem Griff gebrochen) – und ließ wieder los. »Ich ziehe Noelle vor.«
»Dann Noelle.« Doch er konnte sich von ihr nicht beim Vornamen nennen lassen. Nur eine Hand voll Leute hatte ihn in seinem ganzen Leben mit Vornamen angesprochen, und die hatten ihm nahegestanden. Diese Beziehung jedoch musste strikt beruflich bleiben.
»Ich hätte den Tatort aufsuchen sollen«, sagte sie und führte ihn zu einem Sofa mit vergleichsweise zerbrechlich aussehenden, gebogenen Beinen. »Aber man hat mir gesagt, es hätte irgendwelchen ›biochemischen Schleim‹ gegeben, der sich später als harmlos erwiesen hat.«
»Wir sind immer noch nicht sicher, womit wir es zu tun haben«, sagte er. »Aber anfangs gab es falschen Alarm.«
Er setzte sich, kam sich dabei jedoch unbeholfen vor. Die Leichtigkeit im Umgang, an die er sich von einer wenige Monate zurückliegenden Gelegenheit erinnerte, schien fort zu sein. Vielleicht hatte er sie sich auch nur eingebildet.
»Bringen Sie mich auf den neuesten Stand«, sagte sie.
Also tat er, was sie wollte. Er erzählte ihr vom Tatort, von dem Blut und der umfassenden Zerstörung. Er erzählte ihr jedoch nicht von Miles Flint, obwohl er ihr von einigen der Gedanken berichtete, die ihm durch den Kopf gegangen waren, nachdem er sich die Spuren noch einmal genau angesehen hatte, die auch Flint so eingehend studiert hatte – dass Paloma möglicherweise in der Nähe des Fahrstuhls ermordet, der restliche Tatort jedoch arrangiert worden war.
Er erzählte DeRicci nicht, dass er den Verdacht hegte, es könnte mehr als ein Opfer geben – da war viel Blut auf kleinem Raum, und nicht alles war menschlichen Ursprungs. Er hatte noch keine Zeit gehabt, die Beweismittel genauer zu untersuchen, und er wollte ihr gegenüber nicht dumm dastehen, sollten seine Mutmaßungen sich als falsch erweisen.
DeRicci lauschte aufmerksam, die Hände über den Knien gefaltet, während ihr Blick auf seinen Augen ruhte, als würde sie über die Informationen, die er ihr lieferte, später abgefragt werden. Nach allem, was er wusste, war das sogar möglich. Hin und wieder nickte sie oder gab ihm mit einem
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