Miles Flint 05 - Paloma
Massenmord begangen haben, werde ich schweigen. Ich werde mich deswegen quälen, werde mir wünschen, ich hätte es nie gehört, werde feststellen, dass ich Sie nicht ausstehen kann, aber ich werde niemals irgendjemandem davon erzählen, nicht einmal meiner Hauskatze.«
Sie sah nicht aus wie eine Frau, die sich eine Hauskatze hielt. Sie sah aus wie jemand, der überhaupt keine Bindungen unterhielt.
Flint seufzte. Er war gekommen, um herauszufinden, ob sie ihm helfen konnte. Also würde er es auch herausfinden. »Kennen Sie eine Lokalisierungsspezialistin namens Paloma?«
»Natürlich«, sagte van Alen. »Sie hat ein paar meiner Klienten gefunden, Leute, die nicht gefunden werden wollten. Sie war gut in dem, was sie tat. Sie hat sich vor ein paar Jahren zur Ruhe gesetzt, richtig?«
»Richtig«, sagte Flint und zögerte kurz, ganz, wie er es in diesem Moment getan hätte, wäre er der Ermittler, der den Fall Paloma untersuchte. »Sie wurde heute ermordet.«
Van Alens Gesicht sah plötzlich sehr leer aus. Für einen Moment wirkte sie verletzlich, und die Augen wirkten matt und verloren. Dann schluckte sie heftig und nickte, als wollte sie seinen Worten zustimmen.
»Ermordet«, sagte sie. »Sind Sie sicher?«
Flint nickte. »Ich habe den Tatort gesehen.«
»Weil Sie …?«
»Weil ich ein Freund von ihr war«, sagte er.
»Die Polizei lässt niemanden zum Tatort, nur weil er ein Freund des Opfers war«, sagte van Alen.
»Doch, wenn dieser Freund ein ehemaliger Detective ist«, widersprach Flint, nicht ohne die Wahrheit ein wenig zu dehnen. »Wie sich herausgestellt hat, werde ich beinahe Palomas ganzen Besitz erben.«
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte van Alen trocken.
»Sie werden mir nicht mehr dazu gratulieren, wenn Sie mein Dilemma kennen«, sagte er. »Bevor sie die Paloma-Identität angenommen hat, lautete ihr Name Lucianna Stuart. Klingelt da etwas?«
Van Alens Haut hatte ihre rosige Farbe nun vollständig eingebüßt. »Von Wagner, Stuart und Xendor, Limited? Die Stuart?«
Flint nickte.
»Aber das ist die Mutter von …«
»Den Gebrüdern Wagner, ich weiß«, sagte Flint.
Van Alen fluchte leise. »Und Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, Ihr Erbe vor ihnen zu schützen? Machen Sie Witze?«
»Nein«, sagte Flint, »das tue ich nicht. Es gibt einen Grund, warum Paloma mich als Erben auserwählt hat, und ich denke, der hat nichts mit Geld zu tun.«
Er erklärte ihr, dass er selbst vermögend genug war. Und er erzählte ihr von den Dateien, die er gefunden hatte, als er Palomas Büro vor Jahren übernommen hatte, und von den Dateien, deretwegen Paloma vor ihrem Tod besorgt gewesen war.
»Ich dachte, Sie hätten bis heute nichts von Ihrer Erbschaft gewusst«, sagte van Alen, als er fertig war.
»Richtig«, sagte er. »Paloma hat mir eine holografische Erklärung hinterlassen.«
»Eine von der Art, die anschließend verschwinden?«, fragte van Alen in einem Ton, der nicht frei von Sarkasmus war.
Flint nickte.
»Ich hoffe, Sie waren geistesgegenwärtig genug, eine Kopie anzufertigen«, sagte sie.
»Ich habe eine Kopie«, bestätigte er. »Ich würde sie Ihnen gern zeigen, wenn Sie diesen Fall übernehmen.«
Sie stieß einen heftigen Seufzer aus. »Lassen Sie mich überlegen. Will ich den Erben der ermordeten und ihren Söhnen entfremdeten Mutter der Gebrüder Wagner, der einflussreichsten Anwälte in ganz Armstrong, vor einem Zivilgericht vertreten? Will ich mich mit den privaten Akten einer der berüchtigtsten Lokalisierungsspezialistinnen unserer Zeit befassen, noch dazu unter dem Vorbehalt, dass ich die Informationen nicht für meine wohltätige Arbeit im Dienste Verschwundener nutzen kann, weil sie der anwaltlichen Schweigepflicht unterliegen? Will ich mir die verwickelten Aufzeichnungen ansehen, die ihrerseits vertrauliche Daten enthalten dürften, nicht nur aus der Zeit, in der Paloma als Lokalisierungsspezialistin aktiv war, sondern auch aus der Zeit, in der sie eine Angehörige dieser elitären und einflussreichen Kanzlei war?«
»Ich glaube, das ist das, worum ich Sie bitte«, sagte Flint. »Und es ist vermutlich noch lange nicht alles.«
Van Alen lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und tippte mit den Fingern an ihr Kinn. »Ich habe es schon früher mit den Wagners aufgenommen, was mich angreifbar macht. Wenn ich Ihren Fall übernehme, dürfte man mich für suizidal halten.«
Flint stockte der Atem. Sie würde ihn abweisen, und er wusste nicht, an wen er sich sonst wenden
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