Miles Flint 05 - Paloma
Aufzeichnungen am Bildschirm dennoch entlocken.
Paloma war am Vormittag an der Eingangstür des Hauses aufgetaucht, hatte ein paar Freunde begrüßt, während sie durch die Eingangshalle zu den Fahrstühlen gegangen war. Zwei Dienstbots waren ihr gefolgt wie untertassenartige Kreisel, die unter allerlei Paketen versanken.
Sie war einkaufen gewesen und mit einem Haufen Waren zurückgekehrt. Die Bots betreffend, musste er zwei Dinge überprüfen: ob Paloma an diesem Morgen das Haus bereits gemeinsam mit ihnen verlassen hatte (dafür würde er sich weitere Überwachungsaufzeichnungen ansehen müssen) und ob das die Bots waren, die zertrümmert in der Nähe der Küchentür ihrer Wohnung gelegen hatten.
Außerdem hatte er keine Aufzeichnungen über irgendwelche Pakete in der Wohnung. Hatte sie genug Zeit gehabt, sie wegzupacken, dann hatte sie sich bereits länger zu Hause aufgehalten, als er angenommen hatte.
Entweder das, oder die Bots hatten sich munter darangemacht, all ihre neu erworbenen Schätze wegzuräumen, während sie nur einige Meter entfernt brutal ermordet worden war.
Das Überwachungsvideo lief noch einige Sekunden, nachdem sie allein in den Fahrstuhl gestiegen war. Niemand war im letzten Moment zugestiegen, niemand hatte im Fahrstuhl auf sie gewartet.
Er würde die Überwachungsvideos der anderen Etagen brauchen, um nachzusehen, ob der Fahrstuhl innerhalb dieser wenigen Sekunden auf einer der Etagen angehalten hatte und noch eine andere Person eingestiegen war.
Er hatte immer noch einen Haufen Nachforschungen anzustellen. Dennoch hatte er die mühselige Geduldsarbeit vorübergehend unterbrochen, um vor dem Essen mit DeRicci ein paar Informationen über Lucianna Stuart und ihre Familie zu sammeln.
Was im Grunde bedeutete, dass er sich selbst belogen hatte. Seit ihrem Gespräch hatte er seine Zeit in die Abschnitte aufgeteilt, die noch bis zu ihrem gemeinsamen Essen blieben. Und die letzten zwei Stunden hatte er bis ins Detail um dieses Treffen herum geplant.
Würde sie nicht auftauchen, wäre er furchtbar enttäuscht (und zugleich unendlich erleichtert).
Er rückte einen Stuhl näher an seinen Schreibtisch heran, holte noch einen weiteren Stuhl in sein Büro, sodass es einladender wirkte, als das normalerweise der Fall war, setzte sich dann auf seinen eigenen Stuhl und musterte die zerschrammte Schreibtischoberfläche, als könne er sich ernsthaft konzentrieren.
Was er nicht konnte. Seine Nervosität war auf einem Höhepunkt angelangt. Im Stillen verfluchte er sich selbst für sein überaktives Vorstellungsvermögen. Er musste sich auf das Verbrechen konzentrieren (und nebenbei auch noch auf ungefähr ein Dutzend andere laufende Ermittlungen, die in seinen Verantwortungsbereich fielen und die samt und sonders an Priorität verloren hatten, als er diesen Fall übernommen hatte), und nicht auf eine schuljungenhafte Verliebtheit in die Leiterin der Mondsicherheit.
Jemand klopfte an seine halb offen stehende Tür, und er zuckte erschrocken zusammen, nur um sich im Stillen gleich wieder zu verwünschen. Er hatte mit Besuch gerechnet. Trotzdem war er so angespannt, dass er seine Nervosität nicht hatte verbergen können.
Er blickte auf. DeRicci lugte zur Tür herein. Hier wirkte sie kleiner. Sie hatte ihr lockiges Haar zurückgebunden, als hätte sie versucht, es gewaltsam unter Kontrolle zu bringen, und trug eine sportliche Hose und ein schwarzes Hemd – eine Kombination, die der Zivilkleidung der meisten Polizisten ähnelte, wenn sie wussten, dass sie einen Tatort besuchen mussten.
Sie aber sollte mit ihm auf die Lost Seas gehen.
In der linken Hand hielt sie eine große Tüte mit etlichen Fettflecken, die einen Geruch von Knoblauch und schwer einzuordnenden Gewürzen verströmte.
Sein Magen knurrte.
»Ich dachte, wir würden unterwegs essen«, sagte er. Und dann fiel ihm auf, wie undankbar er sich angehört haben musste. Eilends bemühte er sich um eine Korrektur. »Hätte ich gewusst, dass Sie hier essen wollen, dann hätte ich dafür gesorgt, dass wir etwas Gutes bekommen.«
Als wäre das, was sie mitgebracht hatte, nicht gut. Er war froh, dass er nicht mehr zum Erröten neigte. Hätte er das getan, dann wäre er jetzt ganz sicher rot angelaufen.
So unbeholfen hatte er sich seit seiner Teenagerzeit nicht mehr gefühlt.
DeRicci grinste. »Ich fasse das als Aufforderung zum Eintreten auf.«
Was sie dann auch tat. Wie ein alter Hase stellte sie die Tüte auf der Ecke seines Schreibtischs
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