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Millionär

Millionär

Titel: Millionär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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WebWorld, kann mich aber auf nichts mehr konzentrieren und gehe früher nach Hause, wo ich Herrn Schnabel im Hausflur treffe. Er ist sehr verärgert darüber, dass Frau Stähler von Zwirbeljupp die größere Garage zugewiesen bekommen hat und er die kleine. Wo er doch solche Schwierigkeiten habe beim Einparken. Ich habe eine Idee: Gemeinsam tauschen wir die Kennzeichen auf den Garagentoren aus und programmieren den Funkempfänger für den Toröffner um. Herr Schnabel wirkt um glatte zehn Jahre jünger, als wir am Abend beobachten, wie Johanna mit ihrem riesigen Hummer H2 in die viel zu kleine Garage schrammt und nicht mal mehr die Tür aufkriegt. Ich hingegen wirke um zehn Jahre älter, als Johanna sich nicht mal ärgert über die Schrammen und scheinbar gut gelaunt an uns vorbeizwitschert.
    »Lass ich reparieren. It's only money!«
    Immer noch Donnerstag. Alle im Haus kriegen Einladungen zu Johannas Einweihungsfeier am Samstag durch die Tür geschoben. Ich nicht.
    Alles klar.
    Wenn ich wenigstens mit Annabelle plaudern könnte! Ich setze Annabelles Stoff-Frosch auf den Rand meines altes Küchenmixers, knipse ein Foto und schicke es als Mailanhang an den Kundenservice mit dem Text:
    Melde dich oder ich springe!
    Ich lache auch nie wieder. Simon Peters.
    Am Abend spielt Johanna insgesamt zweihundert Musiktitel für jeweils fünf Sekunden ab.
    Am Freitag schaue ich kurz bei Dr. Parisi vorbei, wegen der Blutwerte. Parisi sagt mir, dass ich auf dem Papier schon klinisch tot sei und fragt, von was ich mich eigentlich ernähre. Ich erkläre ihm, dass ich auf eine ausgewogene Ernährung achte und deshalb nur Konserven aus den unterschiedlichsten Supermärkten zu mir nehme. Parisi rät ihm weiterhin zur Ruhe. Ich frage »Wem?« und er sagt »mir«, also »Ihm!«. Er sehe nicht gut aus und am liebsten würde er ihn in einer bayerischen Burnout-Klinik anmelden. Ich frage »Wen?« und er sagt »Sie!«. Dann sage ich, dass ihm Burnout immer noch lieber sei als Bayern. Ob er ein Tagebuch habe, will Parisi wissen. Er habe irgendwo noch eins von ganz früher, entgegne ich. Dr. Parisi fragt »Wer?« und ich sage »Er«, also »Ich«. Ich bekomme den dringenden Ratschlag, mir meinen Kummer von der Seele zu schreiben.
    Am Nachmittag finde ich in einer staubigen Ikea-Box mein Tagebuch aus der Schulzeit wieder und blättere es bei einem
    Senseo Third Brew mit pochendem Herzen ganz durch. An einem Julitag des Jahres 1986 bleibe ich hängen.
    9.7.86
    Der arme Olli kann die Klassenfahrt nach München nicht mitmachen, weil seine Eltern die 60 Mark nicht haben. Da krieg ich echt das Kotzen, daß seine Eltern ihm das antun. Für mich steht fest; spätestens wenn ich 30 bin oder so, dann bin ich Millionär! Mit Penthouse, nem schnellen Auto, am besten dem Pontiac Firebird Trans Am aus Knight Rider und natürlich einer geilen Frau nach der sich alle umgucken so wie Amanda Carrington aus 'm Denver Clan oder noch besser Anja aus der 8c. Na jedenfalls: wenn ich's mit 30 nicht geschaßt habe, dann kann ich mich auch gleich auf die Gleise legen .
    Ich halte kurz inne und schlucke. Dann lege ich das Tagebuch weg, schütte den dünnen Kaffee ins Basilikum und weine eine ganze Stunde lang.
    Samstag. Der Tag von Johannas Einweihungsfeier. Gegen neun Uhr höre ich, wie die ersten Gäste zu Johanna kommen. Gegen elf Uhr ist die Musik schon so laut, dass ich nicht mal mehr fernsehen könnte. Irgendjemand hat einen nervösen Hund mit ungeschnittenen Krallen mitgebracht, der immer übers Parkett läuft. Hin und her. Hört sich an wie 'ne gedopte Riesenratte. Immer hin und her. Als die ersten Takte der Live-Band durch das Parkett wummern, krümme ich mich igelgleich auf meiner Couch. Das Lied kommt mir bekannt vor. Sehr bekannt sogar. Plötzlich weiß ich es!
    Keine drei Meter über mir steht die personifizierte Rettung des nie existenten deutschen Swing und heult seinen Hit »Zieh die
    Schuh aus« ins Mikro. Hat sich die EMI-Geschäftsführung doch tatsächlich mal eben Roger Cicero in ihre bescheidene Hütte gebucht. Und Cicero swingt: »Zieh die Schuh aus, bring den Müll raus, pass aufs Kind auf und dann räum hier auf ...«
    »Hihihihihihi!«
    »Schlecht! Schlecht! Schlecht!«
    Spielen die jetzt auch noch Nintendo da oben?
    Die Riesenratte dreht sich im Kreis! Warum das denn?
    »... kein Boss und kein Action-Held, kein Stahl- und kein Mafia-Geld: Frauen regier'n die Welt!«
    Jetzt reicht's.
    Und zwar endgültig!
    Ich stehe auf, ziehe meine Jacke an und

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