Millionenkochen: Ein Mira-Valensky-Krimi
offenbar doch ziemlich im Kopf herum.
„Ich komme“, sagt Oskar.
„Okay, ein Huhn liegt schon auf dem Schneidbrett. Woher hast du die Viecher?“
„Ein Klient von mir, LuckyChick, du weißt, Bio-Eier, Bio-Hühner. Er hat ein paar Probleme und er hat mir gestern einige seiner glücklichen toten Tiere mitgebracht.“
Ich stehe in der Küche und versuche den Wohnungsirrtum durch eifriges Kochen wiedergutzumachen. Ich stelle einen Topf mit Wasser auf, etwas von der vegetarischen Suppenwürze dazu, Salz, Pfefferkörner, Neugewürzkörner. Ich finde noch zwei eher ältliche Karotten und eine Zwiebel. Karotten waschen, schälen und samt den Schalen in das Kochwasser. Zwiebel grob schneiden, in wenig Butter anrösten, auch ins Wasser. Wie es wohl wäre, bei MillionenKochen dabei zu sein? Genau genommen ist an den Verträgen nicht viel Verwerfliches. Nur weil der Eindruck erweckt wird, alle Sendungen seien live? Man spart eben etwas und geht lieber auf Nummer sicher, falls ein Kandidat auszuckt. Alle gelernten Fernsehzuschauer wissen, dass der Schein trügt. Ist doch egal, solange das Programm spannend ist. Ob ich mit meiner Hühnersuppe punkten könnte? Was will das Publikum? Genial-komplizierte Rezepte, die beeindrucken, oder eher etwas Lockeres à la Jamie Oliver? Nur dass das Lockere viel schwieriger ist, da bin ich mir sicher. Ich sollte mir Aufzeichnungen der Sendungen mit Klaus Liebig besorgen. Was interessiert mich an dem Typen? Bloß der Umstand, dass ich ihn quasi gerettet habe? Ich glaube nicht, dass er sich vor den nächsten Zug geworfen hätte, Verzweiflung hin oder her. Warum nicht? Instinkt. Außerdem nichts, was jetzt noch zu beweisen oder zu widerlegen wäre. Ich koche im Fernsehen Hühnersuppe und gewinne mehr als drei Millionen Euro. Die Vorstellung hat schon was. Klaus scheint monatelang auf seine Chance hingearbeitet zu haben, hat sich in die Idee verbohrt, dass ein Gewinn bei MillionenKochen sein ganzes Leben verändern wird. Dabei ist sein Leben doch gar nicht so übel. Gut, eine Mutter wie die seine würde ich kaum aushalten. Warum ist er nicht längst ausgezogen? Er ist 31. Ganz dicht kann er nicht sein, wer hält es so lange daheim aus, auch wenn die Villa noch so groß ist und alles, zumindest vordergründig, sehr bequem? Was hat er beim Bahngleis geschluchzt? Nichts gelinge ihm. Das wird wohl sein Vater bisweilen zu ihm gesagt haben. Während seine Mutter Lose für MillionenKochen heimbringt.
Gismo drückt mir ihren runden Kopf in die Kniekehle, ich knicke ein. Okay, Katze, verstanden. Zwar irgendwie schade um das saftige Hühnerflügerl – mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich es mir gegrillt vorstelle -, aber du sollst auch was Feines haben.
Geschmatze und Knochengeknacke neben meinen Beinen. Ich beschließe, auch Huhn Nummer 2 zu zerteilen. Die Suppe soll kräftig werden. Hühnerbrust vom Brustbein lösen. Dann Ober- und Unterkeule auf einmal amputieren, das geht ganz einfach: das Bein wegspreizen, nun in die Haut zwischen Innenschenkel und Brust einstechen und schon sieht man, wo man teilen muss, wo das Hüftgelenk sitzt. Auch die anderen drei Hühnerflügel reserviere ich für Gismo. Den Rest der Hühner, im Fachjargon Karkassen genannt, teile ich ohne viel Aufmerksamkeit in einige Stücke und lege sie ins inzwischen warme gewürzte Wasser. Die Flüssigkeit bedeckt nur knapp die Hühnerteile, so soll es sein. Es wird trotzdem dauern, bis daraus eine gute, kräftige Suppe wird. Wir werden es chinesisch machen: Zuerst die Hühnerhaxen und danach die Suppe essen. Das Rohr habe ich zum Glück schon vorgeheizt.
Karkassen: Was ist das? a) Eine mongolische Nationalspeise? b) Karibische Armenausspeisung? c) Die Bestandteile des Geflügels, nachdem die Edelteile entfernt worden sind? d) Mitglieder einer Sekte, die hauptsächlich von Karfiol leben? Das könnte auch eine Frage bei MillionenKochen sein. Vielleicht sollte ich nicht als Kandidatin teilnehmen, sondern mich als Fragetexterin anbieten? Ich habe mir oft schon überlegt, wer sich bei den diversen Wissensshows wohl die Fragen ausdenkt.
Ich gehe zum Fensterbrett und breche Zweige vom Rosmarin an, zupfe die Nadeln auf das Brett, gebe etwas groben, frisch gemahlenen Pfeffer dazu, einen Schuss Olivenöl gleich drauf, den Saft einer halben Zitrone, etwas grobes Meersalz und hacke alles mit dem Messer gut durch. So geht es schnell, und keine Aromastoffe des Rosmarins gehen verloren, sie gehen gleich ins Salz und ins Öl über.
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