Milner Donna
Haare waren von der Farbe eines Heuhaufens, der in der Sonne trocknet.
Aber es waren seine Augen, die mich in Bann schlugen. Sie waren von der Farbe eines blaugrünen Ozeans, den ich nur in meiner Phantasie gesehen hatte. Wenn er blinzelte, schlossen sie sich und öffneten sich langsam wieder, fast so, als wären die dichten, erstaunlich dunklen Wimpern zu schwer für seine Lider. Als Mom später einmal diese Augen beschrieb, sagte sie, er habe Wimpern gehabt, für die »die meisten Frauen zu Mörderinnen würden«.
»Schlafzimmeraugen«, schnaubte unsere Nachbarin, die alte Mama Cooper, nachdem sie ihn kennengelernt hatte.
Der Fremde lächelte, als Mom das Tor öffnete, ein Lächeln, das vorzeitige Fältchen zum Vorschein brachte. Er stellte seinen Gitarrenkasten ab, schüttelte die Segeltuchtasche von der Schulter und streckte die Hand aus. »Guten Tag, Ma’am«, sagte er und sprach das »a« in Ma’am etwas gedehnt aus.
»Nettie«, lächelte meine Mutter zurück und drückte ihm die Hand. »Sie können mich Nettie nennen.«
»Nettie«, wiederholte er. Ihr Name klang weich und warm, wie Musik.
»Und du musst Richard Jordan sein«, sagte Mom. Ihre Hand lag immer noch in seiner.
»River«, sagte er. »Meine Freunde nennen mich River.«
Als ich seine Stimme hörte, begriff ich, warum meine Mutter ihn angestellt hatte. Seine Stimme war seine Empfehlung, so beruhigend wie eine bekannte Melodie.
»River«, wiederholte Mom. »Ich freue mich, dich kennenzulernen.« Sie ließ seine Hand los und wandte sich zu mir. »Und das ist meine Tochter Nat.«
»Natalie«, verbesserte ich. Ich wollte hören, wie er meinen ganzen Namen aussprach. Ich wollte, dass es möglichst lange dauerte.
Er streckte mir die Hand entgegen. »Tja, es ist mir ein Vergnügen, dich kennenzulernen, Natalie«, sagte er.
Und mein Name fiel matt in die still stehende Luft, dumpf, kein Zauber, keine Musik, nur Vokale und Konsonanten. Drei farblose Silben.
Der Fremde ergriff meine Hand und drückte sie fest. Ich stand wie erstarrt da, war mir plötzlich meines kindischen Pferdeschwanzes, meiner Jeans, meines weiten T-Shirts und meiner ganzen Erscheinung eines Wildfangs bewusst, auf die ich bis zu diesem Augenblick so stolz gewesen war. Mit einem Ruck zog ich meine Hand zurück und versteckte sie hinter meinem Rücken.
»Na schön«, sagte meine Mutter. »Jetzt kommst du mit mir, River, und ich zeige dir dein Zimmer über der Molkerei. Du kannst dich dort einrichten, deine Sachen einräumen, und dann kommst du wieder ins Haus und isst etwas.« Moms todsichere Lösung für alles: Fülle ihre Mägen und lerne sie kennen, solange sie nicht darauf vorbereitet sind.
River nahm sein Gepäck, und zusammen zogen sie in Richtung Molkerei. Buddy folgte ihnen mit wedelndem Schwanz. Als sie am Rosengarten vorbeikamen, hörte ich River sagen: »Da haben Sie aber einen schönen Garten, Ma’am.«
»Danke sehr.«
»Wussten Sie, dass Jacqueline Kennedy einen Rosengarten hatte, als sie im Weißen Haus wohnte?«
»Ich wette, dass sie niemals die Rosen selber zurückschneiden musste«, erwiderte meine Mutter lachend.
Diesen Garten zu pflegen war für Mom immer eine Tortur. Einmal in der Woche, vom Frühling bis in den Herbst, zog sie Dads wasserfestes Lodenzeug, Lederhandschuhe und Gummistiefel an. Dann fiel sie über die Rosensträucher mit der vollen Wucht eines Kriegers her. Dennoch fanden die wütenden Dornen ihren Weg durch Moms Rüstung und hinterließen winzige Blutspuren.
Ich habe mich oft gefragt, was sie dachte, wenn sie so mit den Büschen herumstritt, als erwartete sie freche Antworten.
»Rosen, Natalie«, erklärte sie mir einmal, »sind weit überschätzte Blumen.«
An jenem Nachmittag beobachtete ich also, wie meine Mutter und der Fremde am Rosengarten vorbeischlenderten. Eine Brise trug den Duft der Blüten durch die hitzegeladene Luft. Ich stand beim Tor und fühlte mich ausgeschlossen von dem, was meine Mutter zum Lachen brachte.
Während sie über den Hof gingen, fiel mir auf, dass mir etwas an diesen beiden bekannt vorkam. Und dann wurde mir klar, dass River, von hinten, Boyer ähnelte. Boyer in Hippiekleidern!
Wie sie so neben River einherging, sah meine Mutter aus wie ein junges Mädchen, und ihre Hüften schwangen in einem Rhythmus, den ich nie zuvor bemerkt hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben ärgerte ich mich über meinen Körper, die Figur, die ich von meinem Vater geerbt hatte. Zum ersten Mal empfand ich meiner Mutter
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