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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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weniger als einem Monat ein. Stolz erteilte Mom Anweisungen, als Dad es im Salon über dem Klavier aufhängte. Ich kann sie nach all den Jahren noch immer sehen, wie sie am Klavier saß und ihre Finger geschickt die richtigen Tasten fanden, während sich ihre Augen auf das Bild über ihr konzentrierten. Sie schien zu entschwinden, sich in ihm zu verlieren.
    Ich frage mich, ob Boyer das Bild je betrachtet hat. Ich frage mich, ob er sich an eine Zeit erinnert, als unser aller Leben so einfach und geradlinig war, wie die Farm auf diesem Bild aussieht.
    Schaut er genau hin? Denkt er jemals über diese alte Bergarbeiterhütte am See nach? Fragt er sich je, wie anders die Dinge gelaufen wären, wenn er das ändern könnte, was an jener Stelle passierte, die jetzt unter der verblassten Wasserfarbe nur noch als nachgedunkelter Fleck existiert?
    Und hält er jemals inne, um sich zu vergegenwärtigen, was für ein Leben er hätte führen können, wenn unser Vater kein Analphabet gewesen wäre?

12
     
    A LS ICH NEUN J AHRE ALT WAR, brach Boyer die Schule ab. Und einfach so, mir nichts, dir nichts, verblasste an einem verschneiten Novembertag mitten in seinem letzten Schuljahr auch Moms Wunschbild, einen ihrer Söhne an der Universität zu sehen.
    Nie hörte ich, dass mein Vater einem meiner Brüder direkt nahegelegt hätte, mit der Schule aufzuhören. Aber die Forderung war auch unausgesprochen stets präsent. Das erste Mal nahm ich sie in den Tagen nach Boyers sechzehntem Geburtstag wahr.
    Nach dem allmorgendlichen Melken schlüpfte Boyer wie üblich in seine Schulkleider und zwängte sich zu uns anderen ins Führerhaus des Trucks. Dad runzelte jeden Tag die Stirn und stieß einen übertriebenen Seufzer aus, hielt aber während der Fahrt in die Stadt den Mund. Er brauchte nichts zu sagen. Die Worte hingen in der Luft. Die Farm braucht dich.
    Damals gab es noch Jake, unseren Lohnarbeiter. Und Jake sprach es aus.
    Ich weiß nicht, wie Jake auf unserer Farm gelandet war, aber er hatte, seit ich denken konnte, in dem Zimmer über der Molkerei gewohnt. Jeder konnte sehen, dass er nicht zur Familie Ward gehörte. Er sah niemandem von uns ähnlich. Er war ganz knorrig und knollig und irgendwie grau. Sein stoppeliges Gesicht sah immer griesgrämig aus. Das wenige, was er zu sagen hatte, kam schroff herüber. Im Gegensatz zu der gutmütigen Art, wie Morgan und Carl rempelnd und augenzwinkernd ihren Ulk trieben, waren Jakes Sticheleien spitz und bissig. So, als würde er versuchen, jemanden mit einem scharf zugeschnitzten Stockende zu kitzeln. Und seine Hänseleien hatten wirklich immer eine Spitze. Hinter seinem Rücken nannten ihn Morgan und Carl den »Anti-Dad«.
    Jake war Dad gegenüber ausgesprochen loyal. Seine Ergebenheit erstreckte sich aber nicht auf die Familie Ward. Uns duldete er nur. Ich ging ihm aus dem Weg. Mom sagte, sein Bellen sei schlimmer als sein Beißen, doch darauf wollte ich es nicht ankommen lassen.
    Jake war Junggeselle. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es eine Frau geben könnte, die ein Zusammenleben mit ihm auch nur in Betracht ziehen würde. Manchmal blödelten Morgan und Carl, dass sie ihm eine Freundin suchen würden. Eines Abends, nach dem Melken, schlugen sie über die Stränge und erboten sich, für ihn ein Rendezvous mit der Witwe Beckett zu arrangieren. Als sie ihm aus dem Stall heraus folgten, sagte Carl etwas in der Art, dass die Witwe sich »nach einem Mann sehnen müsse, der ihr das Bett wärmt«.
    Jakes Miene verfinsterte sich. Dann drehte er sich um, packte Morgan und Carl am Hemdkragen und hob sie hoch. »Ihr beiden kleinen Scheißkerle haltet mal lieber eure dreckige Klappe!« Während er sie in der Luft festhielt, ruderten sie so heftig mit Armen und Beinen, dass ihre Gummistiefel in den Staub fielen. »Noch einmal ein so unflätiges Gerede wie das eben, und ich versohle euch derart, dass euer Hintern ein Jahr lang Blasen wirft!« Dann ließ er sie los. Sie plumpsten auf den Boden, schnappten sich ihre Stiefel und stürzten davon.
    Weder unser Vater noch unsere Mutter haben jemals einen von uns »versohlt«. Die Vorstellung, dass irgendjemand das täte, war ebenso kränkend wie beängstigend. Es dauerte eine Weile, bis Morgan und Carl ihre Hänseleien wieder aufnahmen.
    Jake und Boyer behandelten sich gegenseitig mit höflichem Respekt. Boyer brachte ihm die freundliche Achtung entgegen, die ein junger Mann einem älteren gegenüber empfindet. Und Jake schien Boyers Anhänglichkeit an

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