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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: River
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ihm, zusammen mit seinem Mephisto-Haaransatz, ein teuflisches oder verwegenes Aussehen, je nachdem, wen er gerade ansah.
    Wann immer ich versuche, mir meinen Vater vorzustellen, habe ich Schwierigkeiten, ihn als den steifen, ernst dreinblickenden Mann zu sehen, als der er auf den alten Fotos posiert. Ich muss ihn mir bei einer Tätigkeit vorstellen. Mein Vater war immer in Bewegung.
    Ich habe ihn vor Augen, wie er, im Overall und mit Gummistiefeln, im abendlichen Dämmerlicht zum Stall geht oder aus dem Führerhaus seines Milchtrucks herauswinkt.
    Ich sehe ihn, wie er den Traktor durch ein Feld mit frisch gemähtem Heu lenkt oder im Geräteschuppen an den Motoren herumbastelt. Er schien die Hälfte seiner wachen Stunden so zu verbringen – unter einem Traktor oder einer Mähmaschine, unter denen dann nur seine Füße herausragten.
    Selbst an unserem Küchentisch war er in Bewegung. Seine Arme und Hände fuchtelten herum und stießen in die Luft, während er aß oder das ständige Tischgespräch dirigierte.
    Und ich sehe ihn rauchen. Mein Vater schien immer eine Selbstgedrehte im Mund zu haben, wobei sich die dünne Zigarette so zwischen seinen Lippen bewegte, als entwickelte sie eine Eigendynamik. Der Aschenbecher im Milchtruck war immer randvoll mit Kippen. Jeden Nachmittag saß er in der Küche mit einer Dose Export-Tabak und Zigzag-Papierchen vor sich auf dem Tisch. Mit einem befeuchteten Finger nahm er ein Blatt des durchscheinenden Papiers auf. Dann hielt er es zwischen Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand und bröselte mit der anderen den trockenen, wie Würmchen aussehenden Tabak darauf. Er füllte das Papier, ohne auch nur hinzusehen, und drückte und rollte es geschickt vor und zurück, vor und zurück, bis unter seinen dicken Fingern ein ordentliches Röhrchen auftauchte. Er fuhr mit der Zunge über das Ende des Papiers oberhalb seines Daumens – eine beinahe feminine Geste – und legte dann das fertige Produkt auf den Tisch. Er reihte die Selbstgedrehten, zwanzig, dreißig Stück, nacheinander auf und ließ den Speichel trocknen, bevor er sie in einem flachen Silberetui verstaute.
    Dieses Zigarettenetui war ein Hochzeitsgeschenk meiner Mutter gewesen. Es war angelaufen und abgenutzt, steckte aber immer in der linken Brusttasche meines Vaters. Selbst während er seine Zigaretten drehte, hatte er eine Zigarette im Mund. Ich erinnere mich gut an seinen Ausdruck, wenn er das in sich einsog, was ich für köstlich schmeckenden Rauch hielt. Nur dass ich heute weiß, dass dieser Rauch im Herumwirbeln nach Orten suchte, in die er eindringen, die er schwärzen und mit Krebs verseuchen konnte.
    Als ich größer wurde, stellte ich fest, dass seine Kundinnen ihn ebenfalls attraktiv fanden. Ich erkannte das an der Art, wie sie ihn ansahen.
    An Wochenenden und an Feiertagen wechselten Morgan, Carl und ich uns ab und begleiteten Dad auf seiner Milchauslieferungstour. In vielen Häusern erschienen Frauen so plötzlich auf der vorderen Veranda, als hätten sie hinter der Tür auf ihn gewartet. Sie beugten sich vor, und wenn sie die Milchflaschen aufhoben, klafften ihre Morgenröcke auf und umspielten locker ihre nackte Haut. Mein Vater winkte dann zurück, ließ sein berühmtes Lächeln aufblitzen und rief: »Guten Morgen, schöne Frau!« Dann zwinkerte er mir zu, kletterte wieder in den Truck und zündete sich eine neue Zigarette an.
    Einmal hörte ich, wie Morgan und Carl sich über diese Bereitschaft von Dads Kundinnen, ihre Brüste zu zeigen, lustig machten. »Sie glauben wohl, dass er ein Experte in Sachen Euter ist«, lachten sie.
    Jeder kannte meinen Vater. Und alle wussten, dass ich seine Tochter war. »Natalie, Milch und Vieh, ach, wie dick und fett ist sie!« Der alberne Singsang mit dem holprigen Reim folgte mir über die Spielplätze der Grundschule.
    Es gibt schlimmere Dinge, als gehänselt zu werden. Es gibt Schlimmeres, als im Winter schwere schwarze Gummistiefel zu tragen, wenn die Klassenkameradinnen mit pelzgefütterten Stiefelchen daherkommen, Schlimmeres, als selbst geschneiderte Kleider zu tragen statt hübscher Wendefaltenröcke und pastellfarbener Twinsets. Aber wenn man ein kleines Mädchen ist, fällt es einem schwer, es zu ertragen.
    Das Einzige, was mich durchhalten ließ, war die Gewissheit, dass ich nach dem letzten Läuten der Schulglocke den Rest des Tages zusammen mit meinem Vater, meiner Mutter, Morgan, Carl und Boyer verbringen würde. Mit Boyer vor allem.
    Doch über Rache

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